Kunst im Karner - Sept. 2005 - Benedikt Traut - Kunst & Geist

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Biographie Benedikt Werner Traut

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Die evangelischen Kommunitäten

Bericht des Beauftragten des Rates der EKD für den Kontakt zu den evangelischen Kommunitäten 1997

Text von

Evangelische Kirche
Deutschland

Quelle: http://www.ekd.de/EKD-Texte/2123_kommunitaeten_1997_kloster1.html

Inhaltsverzeichnis (Quicklink)
1. Einleitung
2. Kurze Information
3. Aus dem Leben der Kommunitäten
4. Der Geistliche Dienst der Kommunitäten für die Gemeinde
5. Kommunitäten und ihre Landeskirchen
6. Die Kommunitäten im vereinigten Deutschland
7. Kommunitäten und Ökumene
8. Andersartige geistliche Gemeinschaften
9. Abschluss

1. Einleitung

Auf dem Evangelischen Kirchentag gibt es seit Jahren eine Halle mit der Überschrift: "Evangelisches Kloster". Hier wirken geistliche Gemeinschaften verschiedener Art zusammen, Schwesternschaften, Bruderschaften, Kommunitäten. Sie beten viermal am Tage miteinander und laden alle Besucher ein mitzubeten. Sie richten im Saal ihres "Klosters" alles mit besonderer Liebe und Sorgfalt so ein, daß sich alle Besucher als ihre Gäste zum Verweilen eingeladen fühlen. In den kleinen Kojen, in denen sie sich je einzeln vorstellen, geht es ihnen weniger um Werbung für sich selbst als vielmehr darum, ein gemeinsames Leben in verbindlicher Ordnung als einen möglichen Weg von Christen heute vorzustellen und jungen Menschen nahezubringen: als deutlich "alternative" Form eines gemeinschaftlichen Lebens im christlichen Glauben inmitten unserer diffuser werdenden Welt und insofern tatsächlich als "Klöster"; aber darin zugleich als lebendige Beispiele dafür, daß Christsein in fröhlicher Deutlichkeit nicht in einer Abkehr von der "Welt" geschehen muß, sondern sehr wohl als eine Weise kritischer Teilnahme. Beeindrucken können die so lebendigen Gesichter alter Frauen und Männer, die ihr Leben lang im Kloster gelebt haben. Eindrücklich ist auch das zuversichtliche Selbstbewußtsein junger Menschen, die ihren Weg ins Kloster gefunden haben und sich dort wohlfühlen. Beeindrucken kann es, wie diese Nonnen und Mönche mit beiden Beinen in der Lebenswirklichkeit von heute ihren festen Stand haben, und wie sie als Priorinnen und Prioren Leistungswillen und Leistungskraft ausstrahlen, ohne autoritär zu sein.

Jedoch: Evangelische Klöster, kann es das denn überhaupt geben? Hat doch die Reformation die Klöster radikal kritisiert und in ihrem eigenen Bereich ganz abgeschafft! Über 400 Jahre hindurch hat es evangelische Klöster nicht gegeben, während sich im selben Zeitraum das katholische Ordenswesen ständig vervielfältigt und über die ganze Welt ausgebreitet hat. Im Bewußtsein katholischer Christen haben "Ordensleute" völlig selbstverständlich ihren festen Platz und große Bedeutung. Für evangelische Christen dagegen galt es bis vor kurzem geradezu als feste Regel: Klöster gehören zur katholischen Welt - im Protestantismus gibt es keine Klöster und kann es keine Ordensgemeinschaften geben.

Doch in unserem Jahrhundert, in dessen Verlauf sich zwischen Protestantismus und Katholizismus so vieles verändert hat, gilt auch diese Regel nicht mehr. Seit 50 Jahren gibt es evangelische Ordensgemeinschaften und evangelische Klöster; und ihre Zahl ist ständig im Wachsen. Ihr Name lautet: "Kommunitäten", das heißt: Gemeinschaften. Denn das ist ihnen allen gemeinsam: Sie wollen Orte sein, "wo in unserer Zeit des Individualismus und der Anonymität brüderlich-schwesterliche Gemeinschaft eingeübt wird (Gal 6,2)"1 . Zugleich aber eben auch Orte, an denen im Schutz der verbindlichen Ordnungen des gemeinschaftlichen Lebens die ganz persönliche Eigenart jedes Mitgliedes zu je ihrer besonderen Entfaltung kommen kann.

Viele Evangelische kennen heute mindestens die Bruderschaft von Taizé. Sie ist seit Jahrzehnten ein regelmäßiger "Wallfahrtsort" und Treffpunkt vor allem junger Menschen aus allen Ländern der Welt. Ein Ort, an dem auch Großstadt-Jugend von einem Leben im gesungenen Gebet, in Bibelaustausch und Stille fasziniert wird und hier wie von selbst alle Hemmungen verliert, selbst daran teilzunehmen. Aber daß es inzwischen allein in Deutschland mehr als 30 evangelische Kommunitäten und darüber hinaus eine beachtliche Zahl von Bruder- und Schwesternschaften, Familienkommunitäten, Basisgemeinden und anderen Gemeinschaften gibt, ist den meisten immer noch unbekannt. Und doch muß man sagen: "Die Wiederentdeckung und Erneuerung kommunitären Lebens gehört mehr und mehr zum Erscheinungsbild (auch) der evangelischen Christenheit in Deutschland, in Europa und darüber hinaus in manchen Kirchen der Weltchristenheit".

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2. Kurze Information

2.1 

Das Wort "Kommunität" bezeichnet in einem engeren Sinn geistliche Gemeinschaften, in denen Christen nach verbindlichen Ordnungen zusammenleben, die sich freiwillig zur Annahme der sog. "evangelischen Räte" verpflichtet haben: Armut als persönliche Besitzlosigkeit in Gütergemeinschaft (Mk 10,21; Apg 4,32); Keuschheit in Ehelosigkeit (Mt 19,10-12; 1Kor 7,7); Gehorsam als Anerkennung geistlicher Autorität (Mt 23,8; 1Thess 5,12f; Hebr 13,17). Es handelt sich um eine besondere Lebensform, in der sich diese Christen mit ihrem ganzen persönlichen Leben Gott ganz hingeben wollen, um Jesus Christus als ihrem Herrn in allen Lebensbereichen und jederzeit verfügbar zu sein, sowohl im Dienst für ihn wie darin zugleich im Dienst aneinander und füreinander (Joh 13,34f; 1Joh 4,11.19-21). Dazu kann man sich nicht selbst entschließen, sondern es ist eine persönliche Berufung durch Gott, die ein Mensch hört, wie die Jünger Jesu Ruf in seine Nachfolge gehört haben, und der er folgt wie sie (Mk 1,16-20); in der er sich eine längere Zeit hindurch in Teilnahme am gemeinschaftlichen Leben der Schwestern bzw. der Brüder einlebt, und die er darin in ständigem Hören auf Gott überprüft, und zu der er dann in einem feierlichen Versprechen ("Profeß") vor Gott und vor seinen Mitgeschwistern sein Ja sagt, zunächst für eine befristete Zeit, und schließlich lebenslang. In der Anerkennung und vollen Annahme einer solchen Berufung wurzelt die besondere Gemeinschaft der Mitglieder einer Kommunität: Gottes persönlicher Ruf an jede und jeden von ihnen hat sie einander gegeben und anvertraut. Zum Zeichen dessen tragen viele Schwestern einen Ring, der sie ständig sowohl an das besondere Dienst- und Liebesverhältnis zu Christus wie damit zugleich an das Dienst- und Liebesverhältnis zueinander als "Familie Gottes" erinnert.

2.2

Kommunitäten in diesem Sinn leben zumeist als Schwesternschaften oder Bruderschaften für sich. Es gibt aber auch Kommunitäten, in denen zölibatäre Schwestern und Brüder in einer Gemeinschaft zusammenleben (wie z. B. in der Kommunität Imshausen). Eine wieder andere Art von Kommunitäten sind diejenigen, in denen Ehepaare mit und ohne Kinder in gleicher Verbindlichkeit in einer geistlichen Großfamilie zusammenleben (wie die Communität Koinonia in Hermannsburg, die Familienkommunität Siloah in Neufrankenroda und die Familien in Gnadenthal sowie in der Basisgemeinde Wulfshagenerhütten). Auch sie führt und hält eine besondere Berufung zusammen. Auch sie suchen ihrer Lebensform entsprechende Ordnungen, in denen sie eine volle Verfügbarkeit zum Dienst für Gott und füreinander leben können. Die verschiedene Lebensform zölibatärer und nichtzölibatärer Gemeinschaften bedeutet keinerlei geistlichen "Rangunterschied" zwischen ihnen. Sie erkennen einander als in der grundsätzlichen Zielrichtung verwandten Zweig von Kommunitäten an. Die Kommunität Gnadenthal ist dafür ein Vorbild: Dort leben eine zölibatäre Bruderschaft, eine zölibatäre Schwesternschaft und eine große Gruppe jüngerer und älterer Familien in einer "christlichen Dorfgemeinschaft" zusammen. Sie beten täglich zusammen, arbeiten z. T. zusammen, feiern zusammen. Ihr Vorbild ist die "Koinonia", die der Vater des Mönchtums, Pachomius, im 3. Jahrhundert in Oberägypten gegründet hat.

2.3

In einem weiteren Sinn schließlich gehören zu dem Kreis der in verbindlich geordneter Gemeinschaft lebenden Christen die verschiedenen Bruderschaften und Schwesternschaften hinzu, deren Mitglieder ein normales bürgerliches Familien- und Berufsleben führen, darin aber bestimmten Regeln folgen, sich gegenseitig helfen und gemeinsam der Kirche dienen möchten. Dazu zählen vor allem die Schwestern des Ordo Pacis, die Brüder der Evangelischen Michaelsbruderschaft sowie die Schwestern und Brüder der Ansverus-Kommunität und der "Vereinigung vom gemeinsamen Leben".

2.4

Vorläufer der Kommunitäten sind in einem weiteren Sinn die Dienstgemeinschaften der Diakonissen in ihren Mutterhäusern, die im 19. Jahrhundert etwas ganz Neues im Lebensbereich der evangelischen Kirchen waren und zum Erscheinungsbild des evangelischen Christentums wesentlich beigetragen haben. Einige Kommunitäten sind direkt aus Diakonissenhäusern heraus entstanden wie die Schwesternschaft in Scherfede (Westfalen), die sich "Diakonissen-Kommunität Zionsberg" nennt. Gleichen Ursprung haben die Schwesternschaften des Julius-Schniewindhauses in Schönebeck/Elbe, des Missionshauses "Malche" in Bad Freienwalde (Brandenburg) und des Evangelischen Schwesternkonvents "Lumen Christi" in Gößweinstein (Mittelfranken).

Im engeren Sinn ist die bruderschaftliche Bewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Ursprung der Kommunitäten zu sehen. Aus dem Schweizerischen Diakonieverein gingen die "Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben" hervor, die sich in Deutschland mit den verheirateten Geschwistern zur "Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst" zusammengeschlossen haben. Sie leben heute an verschiedenen Orten und haben ihren Mittelpunkt im "Ökumenischen Lebenszentrum Ottmaring" (bei Augsburg), zusammen mit der Fokularbewegung. Ihr gemeinsames Leben verstehen sie als ein "Übungsfeld, um für das Geheimnis der einen und ganzen Kirche dienstbar zu werden, die im dreieinigen Gott schon besteht, aber im Zusammenhang der ökumenischen Erneuerungsbewegung dieses Jahrhunderts Wirklichkeit werden will".4 Diese ökumenische Vision lebt in allen Kommunitäten. Das tägliche Einheitsgebet der Vereinigung vom gemeinsamen Leben wird heute noch in mehreren anderen Kommunitäten im gleichen Wortlaut mitgebetet. Darin heißt es: "Vereinige uns alle mit dir und miteinander in der einen, alle und alles umfassenden Liebes- und Lebensgemeinschaft deines heiligen Herzens".

2.5

Die ältesten Kommunitäten sind in der ersten Nachkriegszeit entstanden unter dem Eindruck der ungeheuerlichen Schuld wie auch der vielen Leiden und Zerstörungen des Krieges. Manche von ihnen haben eine unmittelbare Vorgeschichte im Leben der Bekennenden Kirche während der NS-Zeit. Die Kommunität Imshausen z.B. ist direkt aus dem politischen Widerstand hervorgegangen. Ihre Gründerin, Vera von Trott, war eine Schwester des Widerstandskämpfers Adam von Trott zu Solz. So feiern einige Kommunitäten in diesen Jahren ihr 50. Jubiläum: 1997 die Evangelische Marienschwesternschaft in Darmstadt; 1999 werden dann die Kommunität Christusbruderschaft und 2000 die Communität Casteller Ring folgen. Die jüngsten Gründungen sind die Schwesternschaft des Trinitatisrings (1977 in Leipzig, jetzt in Lützschena), das Priorat St. Wigberti (1987 in Werningshausen, Thüringen), die Familienkommunität Siloah (1991 in Neufrankenroda, Thüringen), die Diakonische Schwesternschaft Wolmirstedt (seit 1996 im Kloster Barsinghausen) und die Basisgemeinden in Wulfshagenerhütten (seit 1981) und in Hamburg (seit 1992).

Die Mitgliederzahlen sind verschieden. Es gibt einige große Gemeinschaften mit über 100 Mitgliedern wie die Marienschwesternschaft und die Kommunität Christusbruderschaft in Selbitz; eine Reihe von Gemeinschaften um 50 wie z. B. die Communität Casteller Ring, die Schwesternschaft des Julius-Schniewind-Hauses und die Christusträger-Brüder und -Schwestern; sowie zahlreiche kleinere Gemeinschaften und auch ganz kleine Zellen wie die Kommunität "Freue dich" in Gnesau (Österreich) und die Communität El Roi in Basel mit drei Schwestern.

Die Zahlen als solche besagen aber wenig im Blick auf die Bedeutung (wie immer im Reiche Gottes!). Es gibt einerseits kleine Gemeinschaften mit erstaunlich kräftiger und weiter Ausstrahlung wie z. B. die Kommunität Imshausen, die Cella Hildegardis, die Diakonissenkommunität Zionsberg oder die Familienkommunität Siloah, die mit nur drei jungen Familien und wenigen weiteren Helfern vom Frühsommer bis zum Spätherbst Hunderte von arbeits- und heimatlos gewordenen Jugendlichen aus vielen Ländern Osteuropas auffängt und in Sommer-"Camps" seelsorgerlich-missionarisch betreut. Andererseits unterhalten die zahlenmäßig großen Gemeinschaften ihrerseits kleine auswärtige Zellen wie etwa die CCR ihre Stadt-Stationen in Augsburg, Nürnberg, Würzburg, Hildesheim und neuerdings Erfurt; oder die Kommunität Christusbruderschaft im Kloster Wülfinghausen, in Magdeburg sowie in Bayreuth und Egensbach, Kulmbach und München. Missionsstationen in vielerlei Ländern der Dritten Welt haben z. B. die Christusträgerbrüder, von denen eine Gruppe in Kabul/Afghanistan aushält!, und die Christusträgerschwestern, die in Rawalpindi/Pakistan ein Leprahospital für Kranke aus der gesamten Umgebung und in Kudus im Landesinneren Jawas eine klinische Ambulanz sowie in Argentinien zwei Heime für Kinder aus sozial zerstörten Verhältnissen unterhalten. Die Evangelische Marienschwesternschaft hat seit 1980 24 Außenstationen ("Wiegen") in vielen Ländern der Welt gegründet. Andere Kommunitäten leben mit einer großen Zahl junger Menschen zusammen, um ihnen zur Selbstfindung im Glauben zu helfen: in Schulen oder Lebenszentren wie etwa die Schwestern des Missionshauses Malche, die Communität Adelshofen, die "Christen in der Offensive (OJC)" oder die Kommunität Koinonia in Göttingen. Die Kommunität Gnadenthal hat 1990 in Hennersdorf/Sachsen einen großen Handwerksbetrieb und eine Familienwohn- und Begegnungs- und Tagesstätte gegründet und baut gleichzeitig in Volkenroda/Thüringen das älteste deutsche Zisterzienserkloster, von dem nur noch bauliche Reste bestanden, wieder auf, in dem eine europäische Jugendbildungsstätte entstehen soll.

2.6

Ein sprunghaftes Wachstum, wie es die ältesten Kommunitäten zu ihrer Entstehungszeit nach dem 2. Weltkrieg erleben durften, ist zwar gegenwärtig nirgendwo zu verzeichnen. Nicht wenige Gemeinschaften aber erleben mit Dankbarkeit und Freude ein echtes Interesse junger Menschen, die für eine befristete Zeit mit ihnen leben ("Kloster auf Zeit"), und von denen dann immer wieder einige sich ihnen anschließen. So gibt es Kommunitäten, die Nachwuchssorgen nicht kennen, - freilich auch solche, deren Zahl seit Jahren nicht gewachsen ist. Aufs Ganze gesehen bekommen gegenwärtig auch Kommunitäten zu spüren, daß viele junge Menschen zwar an neuen Formen "unbürgerlichen" Zusammenslebens sehr interessiert sind, sehr wenige aber das Wagnis fester Bindung und Verbindlichkeit eingehen mögen.

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3. Aus dem Leben der Kommunitäten

3.1 

In all diesen verschiedenen geistlichen Gemeinschaften ist der Gottesdienst die Mitte ihres Lebens. Die "lebendige Stimme" der Heiligen Schrift und die Feier des Heiligen Abendmahls gehören überall fest zusammen und sind die geistliche Nahrung, von der sie im gemeinsamen Alltag leben. Nicht wenige Kommunitäten feiern auch unter der Woche Wort- und Sakramentsgottesdienste, einige täglich (z. B. in Gnadenthal und in der Cella St. Hildegard). Es ist sehr eindrucksvoll und beglückend, als Gast zu erleben, wie hier Christen ihren Gottesdienst herzlich lieben und ihn mit Freude miteinander halten. Die Communität Casteller Ring auf dem Schwanberg bei Würzburg hat ihre St. Michaelkirche so gebaut, daß in den Gottesdiensten und Tagzeitengebeten eine große Gemeinde von Gästen rings um die Schwestern in der Mitte sitzen und so leicht mit ihnen mitsingen und mitbeten können: ein lebendiges Zeichen für die Bedeutung und Funktion, die allen Kommunitäten für ihre kirchliche Umgebung zukommt.

Sozusagen die Verlängerung des Gottesdienstes in den Alltag hinein sind die täglichen Gebetszeiten in der Morgenfrühe, zur Mittagszeit, am Abend und zur Nacht. Die Formen sind je nach Herkunft verschieden. Bemerkenswert ist, daß auch aus dem Pietismus hervorgegangene Gemeinschaften liturgische Traditionsformen annehmen, in denen das freie Gebet seinen festen Ort findet. Andererseits entdecken wiederum die hochkirchlichen geprägten Kommunitäten die belebende Wirkung charismatisch-spontaner Gestaltungselemente. Die zentrale Bedeutung der Gebetszeiten zur Strukturierung des Tages ist für alle Kommunitäten gleich. Durchweg sind die Psalmen als das Gebet der Kirche durch alle Jahrhunderte hindurch entdeckt. Daneben wird aus dem kirchlichen Gesangbuch gesungen, aber auch aus dem Reichtum altkirchlicher und mittelalterlicher Hymnen sowie aus dem lebendigen Schatz von Liedern der Gegenwart, zu dem einige Kommunitäten durch eigene Produktionen beitragen. Die verschiedenen Liederbücher der Kommunität Gnadenthal und der Christusbruderschaft haben in vielen Gemeinden weite Verbreitung gefunden.

Ein wesentliches Element des täglichen Gebets ist die Fürbitte: für die Kirche in den umgebenden Gemeinden und Landeskirchen sowie für die Kirchen der ganzen Ökumene; für die Welt in der Nähe und in der Ferne; für viele Einzelpersonen und -gruppen, die sie um Fürbitte gebeten haben oder um deren Probleme sie wissen; und nicht zuletzt auch für die anderen Kommunitäten. Auch die persönliche Segnung Einzelner hat in manchen Kommunitäten ihren festen Ort. Eine bemerkenswerte Absprache besteht zwischen der Badischen Landeskirche und der Kommunität Adelshofen: Hier werden regelmäßig Fürbitten aufgenommen, deren Anliegen ihnen von der Kirchenleitung genannt werden. Das könnte auch für andere Landeskirchen zum Vorbild werden. Sollte doch gerade für eine evangelische Kirche, die ganz aus dem Glaubensvertrauen auf Gottes Gnade und auf die schöpferischen Kräfte seines Geistes lebt, das Gebet um ihre Erneuerung von Grund auf ein entscheidender Anfang der Erneuerung selbst sein!

3.2

Das große biblische Vorbild kommunitären Gemeinschaftslebens ist das Leben der Urgemeinde nach Apg 2,42. Daran läßt sich erkennen: Die Kommunitäten verstehen sich selbst als Kirche - zwar als Kirche in einer besonderen Form gemeinschaftlichen Lebens, in der sie von Kirchengemeinden charakteristisch unterschieden sind; aber keineswegs als Gruppen am Rande oder gar außerhalb der verfaßten Kirche. Es wäre völlig falsch, Kommunitäten etwa als "Sekten" zu verstehen. Treffend ist die Bezeichnung der Kommunitäten als "Mikrokosmos der Kirche" (Taizé). "Soviel Selbständigkeit gegenüber den landeskirchlichen Organisations- und Verwaltungsstrukturen Kommunitäten ihrer besonderen geistlichen Lebensart wegen auch brauchen, so bewußt und energisch ist ihr Wille, zur Kirche zu gehören, der Kirche zu dienen und darum von der Kirche anerkannt zu werden.

3.3

Zum Leben der Kommunitäten gehört eine feste Ordnung des gemeinschaftlichen Lebens. Nicht überall ist diese in einer schriftlich ausgeführten "Regel" beschrieben.6 In nicht wenigen Kommunitäten befinden sich die Ordnungen (noch) im Stadium "mündlicher Überlieferung", die von der Ursprungszeit her in bestimmten Entscheidungen, Regelungen und Ermutigungen der charismatischen Gründerpersönlichkeiten bewahrt werden und sich im lebendigen Vollzug des gemeinsamen Alltags immer neu bewähren sollen oder auch verändert werden müssen.

In den Grundlinien stimmen all diese Ordnungen überall überein. Der Eintritt in eine Kommunität ist grundsätzlich eine Sache des Gehorsams gegenüber einem persönlichen Ruf Christi in seine Nachfolge auf diesem Weg und in diese Gemeinschaft hinein. Es bedarf darum einer hinreichend langen Zeit der Klärung, ob es sich wirklich um einen solchen Ruf handelt und ob es wirklich diese Gemeinschaft dieser Brüder oder Schwestern ist, für die er ergangen ist, - sowohl auf seiten der Eintrittswilligen wie auch von seiten der betreffenden Kommunität. Meist ist diese Zeit in zwei Phasen gegliedert: eine erste kürzere des gegenseitigen Kennenlernens im Mitleben (Postulat), danach eine zweite längere Phase im Miteinanderleben (Noviziat), zu der auch ein intensiver Unterricht gehört, der dem Verstehen der Ordnung des Zusammenlebens gewidmet ist, vor allem einer persönlichen Einführung in alle geistlichen Vollzüge (Formen des Gebets, der persönlichen Schriftbetrachtung, der Meditationsübungen, natürlich auch eine Einführung in den Gottesdienst), aber auch zum Beispiel über die Geschichte der Kommunität sowie überhaupt des Ordenswesens. Auch ein regelmäßiger Austausch mit Novizinnen anderer Gemeinschaften ist vorgesehen. Die endgültige, lebenslang gültige Aufnahme wird in einem feierlichen "Profeß"-Gottesdienst begangen.

Der Ruf Christi an jedes einzelne Mitglied einer Kommunität bedeutet für ihr Verhältnis zueinander: Jeder ist jedem vom Herrn gegeben und als sein Bruder, seine Schwester anvertraut. "Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich, einer komme dem andern in Ehrerbietung zuvor" - diese Mahnung des Apostels (Röm 12,10) ist im alltäglichen Zusammenleben in einer so nahen Gemeinschaft sehr konkret die entscheidende Regel, die es täglich neu einzuüben gilt; aber weil es - ebenso konkret - Christus ist, der die Schwestern und Brüder einander gegeben hat und gibt, ist in dieser Regel zugleich auch seine Verheißung enthalten (vgl. Joh 13,14f; 1.Joh 4,10.19). Die zölibatäre Lebensform hat ihren eigentlichen Sinn (nicht in einem persönlichen Verzicht, sondern) darin, daß die Schwestern und Brüder frei sind für die geschwisterliche Liebe zueinander, die in allen Kommunitäten eine spezifische Kultur (freilich auch spezifische Probleme!) hat. Das Leben in Ehelosigkeit will ein Sich-Verschenken an die Liebe Christi sein, als ungeteilte Bindung in Freiheit und Freude an Gott, aus der die Freiheit und Freude an den Geschwistern der Kommunität erwächst, die Gott jedem ihrer Mitglieder wechselseitig gibt und anvertraut. Auch das gemeinsame Eigentum nötigt praktisch immer neu zur Übung geschwisterlicher "Solidarität". Im Rat der Schwestern bzw. Brüder, dem nur die voll Aufgenommenen angehören, hat jede Stimme gleiches Gewicht. Der Gehorsam gilt grundsätzlich der Gemeinschaft als ganzer gegenüber und in diesem Sinne jeder der Schwestern oder Brüder. Sein Kriterium ist für jedes Mitglied nach 1.Kor 12 der "Nutzen" des Leibes als ganzen. Für die zur Leitung gewählten Schwestern (Priorin/Prior) gilt dies in besonderem Maß. Sie (bzw. er) kann und darf nur nach intensiver Beratung aller Mitglieder Entscheidungen treffen, die dann für alle gelten. Die Mitglieder ihrerseits respektieren eine solche Entscheidung, weil solcher Gehorsam gegenüber der Priorin/dem Prior in der Sache Gehorsam gegenüber der Gemeinschaft als ganzer und als solcher wiederum Gehorsam gegenüber Christus als dem alleinigen Haupt seines Leibes ist. Die zahlenmäßig größeren Kommunitäten untergliedern sich in kleine familienartige Zellen, deren Leiterinnen das engste Beratungsgremium für die Priorin sind.

3.4

Nach dem benediktinischen Prinzip "ora et labora" (Bete und arbeite) wird jedem Mitglied nach seiner Eignung und Begabung sein Part bei der Bewältigung der Arbeiten bestimmt, die die Kommunität als ganze auf sich nimmt. Die liebevolle, persönlich-bedachte Beherbergung von Gästen ist nach ältester Klostertradition eine der zentralen Aufgaben jeder Kommunität. Ihr gilt der größte Teil der täglich anfallenden Arbeit, von den verschiedenen hauswirtschaftlichen bis zu geistlichen Diensten - der Anleitung zur Bibelbetrachtung und zum Gebet (z. B. "Herzensgebet") und Meditation für Einzelgäste, Bibelarbeiten und -gesprächen bei Gemeinderüstzeiten, religionspädagogischer Arbeit mit Kindern und Konfirmanden, oder auch verschiedenen Angeboten persönlicher Seelsorge und Beichte. Kleinere Kommunitäten wie z. B. der St. Johannes-Schwesternkonvent, die Diakonissenkommunität Zionsberg, die Schwestern der Christusbruderschaft im Kloster Wülfinghausen, die Jesu-Weg-Schwestern oder die Schwestern der Cella Hildegardis sind durch solche Rüstzeiten in ihrem eigenen Hause zuweilen bis an den Rand ihrer physischen Kräfte beansprucht. Einige Kommunitäten können nicht existieren, wenn nicht Mitglieder in auswärts ausgeübten Berufen zum gemeinsamen Einkommen beitragen. Oft verbindet sich diese ökonomische Notwendigkeit mit der diakonischen Aufgabe, die die meisten Kommunitäten ihnen gegeben wissen. So sind es gemeindediakonische und -pädagogische oder therapeutische und pflegerische Berufe, in denen einzelne Mitglieder (z. B. der Lumen-Christi-Schwesternschaft und des Johanneskonvents) tätig sind. Ordinierte Pfarrer versehen als Mitglieder ihrer Kommunität den pfarramtlichen Dienst ihrer Kirchengemeinde (z. B. der Prior der Wigbertibrüder, und der Leiter der Familien-Kommunität Siloah). Ein anderes wichtiges Motiv ist, daß durch aktive Teilnahme einzelner Mitglieder an der bürgerlichen Arbeitswelt die Kommunität als ganze an den Erfahrungen, Problemen, Nöten und auch Leiden ihrer Umwelt teilhat.

Nicht wenige Kommunitäten bieten auch Dienste bei Evangelisationen an. Darauf sind zum Beispiel die Christusträger-Brüder spezialisiert, die dazu ihre berühmten drei Bands ausbilden, mit deren Musik sie viele Menschen anziehen, mit denen sie dann während der Evangelisationswoche persönlichen Kontakt gewinnen. Wer heute bei dem Wort "Evangelisation" zurückschreckt, möge einmal die Gemeindepfarrer der Kirchengemeinden konsultieren, in deren Bereich und mit deren voller eigener Teilnahme diese Evangelisationen geschehen: wie zeitgemäß und verständnisvoll für die Lebensprobleme moderner Menschen hier missioniert wird!. Auch die Pfarrer und Schwestern des Julius-Schniewindhauses sowie die Communität Adelshofen halten ständig Evangelisationen in Kirchengemeinden ihrer und benachbarter Landeskirchen. Der Evangelisation dient auch die Arbeit der Evangelischen Marienschwesternschaft. Sie konzentriert sich auf einen umfangreichen internationalen Buch- und Schriftenversand sowie ein zahlreiches Angebot selbstproduzierter Filme und Videos in verschiedenen Sprachen, die im Fernsehprogramm vieler Sendeanstalten in Nord- und Südamerika, Australien und anderen Ländern der Welt ihren festen Platz gewonnen haben und besonders zu Weihnachten sehr viele Menschen erreichen.

Auch die Aussendung zu missionarischen Diensten in verschiedenen Ländern der Dritten Welt und der Kontakt zu diesen Stationen ist ein Arbeitszweig einiger Kommunitäten. Vor allem sind hier die Christusträgerschwestern und -brüder zu nennen, die darin ihre Hauptaufgabe sehen. Auch die Kommunität Christusbruderschaft und die Communität Koinonia unterhalten eigene Missionsstationen.

Besondere Erwähnung verdient die vielfältige Hilfe, die seit Jahren die Lukas-Kommunität für strahlengeschädigte Kinder und Erwachsene in der Ukraine leistet. Daß sich einige andere Kommunitäten an den Kosten beteiligen, ist einer der Erweise für das geschwisterliche Verhältnis der Kommunitäten untereinander.

Im Blick auf diesen ganzen Bereich vielfältiger diakonischer und missionarischer Arbeit gilt: Den Grundsatz im Leben aller Kommunitäten, daß "dem Gottesdienst und Gebet nichts vorzuziehen ist" (Regel Benedikts), kann man nur verstehen und würdigen, wenn man das vielfältige Engagement diakonischer, missionarischer und seelsorgerlicher Art als unmittelbar daraus hervorgehend und eng und wesenhaft damit verbunden wahrnimmt und versteht. "Leiturgia" (Gebet), "Martyria" (Zeugnis), "Diakonia" (dienende Liebe) und "Koinonia" (geschwisterliche Gemeinschaft) gehören in allen Kommunitäten wesenhaft-eng zusammen. "Bruderschaft ist Diakonie an der Welt ... Innen und Außen, Kontemplation und Weltverantwortung werden eins, man kann sie nicht mehr unterscheiden, noch weniger vorzugsweise bewerten"7 Auch diejenigen Kommunitäten, die sich im eigenen Leben ganz auf Kontemplation konzentrieren, z. B. die Cella St. Hildegard und das Gethsemanekloster, fallen aus diesem Zusammenhang zwischen "Kontemplation und Aktion" nicht heraus.

3.5

Auch der vielfältige kulturelle Beitrag der Kommunitäten ist beachtlich. Einige haben bedeutende Künstler in ihrer Mitte, die Christusbruderschaft Selbitz die Malerin und Dichterin Sr. Christamaria Schröter und den Maler Br. Benedikt Traut, die Kommunität Gnadenthal den Maler Br. Andreas Felger. Diese Kommunität unterhält neben dem Felger-Atelier eine eigene Galerie mit bedeutenden Ausstellungen zeitgenössischer Kunst sowie einen eigenen Verlag mit einem ästhetischen Schwerpunktprogramm. Die Kunstkarten von Andreas Felger und von Christamaria Schröter sind sehr beliebt und weit verbreitet. Die Verbindung von Meditationsbildern und -texten in den Büchern von Christamaria Schröter sind kostbare Zeugnisse einer hochsensiblen Spiritualität, wie sie in solcher Dichtheit (heute wie zu allen Zeiten) wohl nur in Klöstern gedeihen kann. Die in ihrer Art einmalige Anlage des Passionswegs Jesu im Garten der Marienschwesternschaft in Darmstadt ist inzwischen weltbekannt. Kopien sind in mehreren Ländern Europas, Amerikas, Australiens und Asiens aufgestellt und finden dort großes Interesse auch in nichtchristlichen Bevölkerungskreisen. Hausmusik, Kunstgewerbe, Laienspiele sind in vielen Gemeinschaften zuhause. Das Haus Koinonia in Dettingen und die OJC in Reichelsheim haben eigene Theatersäle. Nicht selten verbindet sich mit der Liebe zu den Künsten auch ein naturästhetisches Engagement in der Anlage von Gärten (Dettingen, Schniewindhaus!), in der Landschaftsgestaltung (Imshausen, Marienschwesternschaft) sowie auch in ökologischer Landwirtschaft (Gnadenthal, Imshausen). Auch Beiträge politisch-diakonischer Art finden sich im Bereich von Kommunitäten. In Imshausen z. B. befindet sich die Tagungsstätte der Adam-von-Trott-Stiftung, und neuerdings arbeitet die dortige Kommunität mit dem "Verein Ökumenischer Dienst im konziliaren Prozeß" zusammen, der Ausbildungskurse zum Schalom-Diakonat im Schloß Imshausen veranstaltet. Auch in der kommunalpolitischen Praxis ihrer Umgebung arbeitet die Kommunität mit, vor allem was das Zusammenleben mit Minderheiten betrifft. In diesem Zusammenhang verdient auch die Laurentius-Bruderschaft Beachtung, in der sich Aktivitäten nach außen im Zeichen von "Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung" mit einer besonderen gemeinschaftlichen Lebensform als moderne Großfamilie verbinden.

Ähnliches gilt auch für die beiden "Basisgemeinden", von denen sich die Wulfshagenerhütten für soziale Versöhnung (in ihrer Berliner Stadtstation) und Umweltschutz, die in Hamburg für Schutz und Hilfe für Asylbewerber einsetzen.

3.6

Die größeren Kommunitäten haben einen Kreis von Menschen um sich, die sich ihnen geistlich zugehörig wissen und sich zu entsprechendem Leben verpflichten: Die Christusbruderschaft Selbitz z. B. hat ihre "Tertiärgeschwister", die Communität Casteller Ring ihre "Oblaten" und die Evangelische Marienschwesternschaft ihre "Dornenkranz"-Schwestern.

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4. Der Geistliche Dienst der Kommunitäten für die Gemeinde

Die Kommunitäten wissen sich ihrer evangelischen Kirche nicht nur völlig selbstverständlich verbunden, sondern sie leisten auch unschätzbare geistliche Dienste. Eine große Zahl von Gemeindegliedern findet hier eine Wirklichkeitsgestalt von Kirche, die sie in ihrem eigenen Umkreis so grundlagentreu und zugleich gegenwärtig-lebendig oft nicht erleben. "Wir wollen durch unsere eigene Existenz verkündigen, daß es sich lohnt, sich mit Gott einzulassen" (Sr Maria Pfister CCR), - das ist sicher ein Selbstzeugnis von hoher Repräsentanz für alle Kommunitäten. Nicht umsonst haben drei süddeutsche Landeskirchen ihr neugegründetes gemeinsames Institut zu einer geistlichen Rekreation von Pfarrern im Lebenskreis einer Kommunität angesiedelt: das "Haus Respiratio" auf dem Schwanberg.

Was man (u.a.) in den Kommunitäten lernen kann, läßt sich in ein paar ausgewählten Punkten andeuten:

4.1

Man kann lernen, was mit den "schönen Gottesdiensten des Herrn" (Ps 27,4) gemeint ist: "Wirklich, Gott selbst ist unter euch!" (1.Kor 14,25). Liturgie ist nicht deswegen "schön", weil sie schön gesungen wird, sondern sie kann nur schön gesungen werden, wo die geistliche Realität des Daseins Gottes in seinem Wort und Sakrament von einer Gemeinschaft von Christen bezeugt und gefeiert wird, die in fröhlichem Ernst davon schlicht überzeugt und durchdrungen sind. Die Regel Benedikts wird im eigenen Alltag ernstgenommen: "Dem Gebet ist nichts vorzuziehen".

4.2

Kommunitäten sind "Schulen des Gebets". Man kann dort ebenso lernen, gemeinsam mit der Kirche aller Zeiten mit den biblischen Psalmen als dem Gebetbuch Jesu und der Apostel zu beten, wie mit dem ureigenen Herzen in Gottes ewigem Erbarmen eine Ruhe zu finden, die in der Welt sonst nirgendwo zu finden ist. Lautes Singen und tiefstille Meditation liegen ganz nahe beieinander. Das Gethsemanekloster in Goslar-Riechenberg und die Cella St. Hildegard sind z. B. Orte, an denen besonders das schweigende Gebet ("Herzensgebet") sowie die stille Meditation biblischer Texte und Bilder gelernt werden kann.

4.3

Als Orte lebendigen Gottesdienstes und als "Schulen des Gebets" gewinnen Kommunitäten mehr und mehr Bedeutung als Lernorte für Vikarinnen und Vikare in ihrer Ausbildung und für Pfarrkonvente.

4.4

Kommunitäten können ihre Gäste erfahren lassen, wie moderne Menschen in verbindlicher Gemeinschaft als Christen miteinander leben und darin in einer Tiefe sinnvolles Leben erleben können, - nicht in einer idealen harmonischen Scheinwelt, wohl aber in konkreter Verwirklichung "versöhnter Verschiedenheit", wie sie im Kraftfeld der Vergebung Gottes zur Lebensform fehlsamer Menschen werden kann. Da bewährt sich eben in der Praxis: Wem viel vergeben worden ist, der wird auch fähig, viel zu lieben (Lk 7,47).

4.5

Alle Kommunitäten haben die buchstäblich lebenschaffende und lebenerneuernde Kraft der Einzelbeichte für sich selbst entdeckt und sind darum (seltene!) Orte in unserer evangelischen Kirche, an denen man sehr liebevoll in die Schule des Beichtens eingeführt wird und darin begleitet werden kann.

4.6

Wenn allgemein gilt, daß zur Seelsorge "kompetent" nur werden und bleiben kann, wer selbst aus ihr lebt, so gilt das für die vielfältigen Seelsorge-Angebote der Kommunitäten in besonders dichter Weise. Zu erwähnen ist hier u.a. die von den Jesuiten übernommene Begleitung persönlicher Exerzitien sowie die "Gebetsseelsorge", die in der Christusbruderschaft in Selbitz und Kloster Wülfinghausen gelernt werden kann.

4.7

In den meisten Kommunitäten leben drei Generationen in alltäglicher Nähe miteinander. Es gibt sonst kaum noch Orte, an denen man dies so selbstverständlich-dicht erleben kann. Im Missionshaus Malche z. B. kann man sehr eindrücklich miterleben, wie jeden Mittag junge Schülerinnen und Schüler mit 80-jährigen Schwestern an einem Tisch zusammen essen und einander viel zu sagen haben.

4.8

Kommunitäten leben mit der ständig gegenwärtigen Erinnerung an ihre Ursprünge und in einem "hautnahen" Verhältnis mit ihrer Geschichte wie auch mit der Geschichte des Mönchtums insgesamt. In der zunehmenden Geschichtslosigkeit unseres allgemeinen Bewußtseins werden sie zusehens zu Orten, an denen man neu lernen kann, mit der Geschichte zu leben, der man faktisch zugehört.

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5. Kommunitäten und ihre Landeskirchen

5.1 

Das Verhältnis der Landeskirchen zu den Kommunitäten ihres Bereichs ist inzwischen durchweg frei von den Berührungsreserven der Anfangszeit. Umgekehrt ist es für die Kommunitäten nach wie vor von sehr großer Bedeutung zu wissen, daß sie von ihren Landeskirchen in ihrer Eigenart anerkannt und geschätzt werden. Dafür sind die Erklärung der Bischofskonferenz der VELKD vom Mai 1976 und der Beschluß der 7. Synode der EKD auf ihrer 7. Tagung im November 1990 wichtige Marksteine.

Zum ersten Mal seit der Reformation hat eine evangelische Bischofskonferenz ordensmäßige Gemeinschaften innerhalb der Reformationskirchen als legitime Form christlichen Lebens anerkannt: "Dankbar stellen wir fest, daß diese Kommunitäten als Glieder der lutherischen Kirche auf der Basis der Heiligen Schrift stehen und die Rechtfertigung allein durch den Glauben leben wollen ... Kommunitäres Leben, das von solchem Geist erfüllt ist, sehen wir als eine Kraft zu kirchlicher Erneuerung an, die zusammen mit bewährten Formen herkömmlichen Gemeinde- und Gemeinschaftslebens die Kirche verlebendigen kann."9 Und zum ersten Mal hat die Synode der EKD für alle evangelischen Landeskirchen in Deutschland die Bedeutung der Kommunitäten für das Leben und die Erneuerung der Kirche hervorgehoben: "Sie (die Synode) richtet ihren Dank auch an die kommunitären Gemeinschaften für den Dienst, den sie zeichenhaft für die ganze Kirche tun. Sie verbindet damit die Bitte, die Kommunitäten mögen sich weiterhin als Teil der größeren kirchlichen Gemeinschaft betrachten, den Austausch mit Gemeinden und Gruppen pflegen, interessierten, suchenden und beladenen Menschen einen Ort zum Aufatmen gewähren, den Dienst der Fürbitte für Kirche und Welt in Treue wahrnehmen und die Erinnerung an die ökumenische Weite der christlichen Berufung wachhalten. Die Synode bittet die Gliedkirchen, auch künftig den kommunitären Gemeinschaften ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sie bittet den Rat, alsbald wieder einen Beauftragten für die evangelischen Kommunitäten zu bestellen".

5.2

Inzwischen darf die Frage als theologisch geklärt gelten, ob Ordensgemeinschaften und Klöster im Lebensbereich der evangelischen Kirche überhaupt möglich seien, wo doch in den Bekenntnisschriften die Unvereinbarkeit evangelischer Rechtfertigungslehre mit "Klostergelübden" ausdrücklich erklärt worden ist (Augsburgisches Bekenntnis Artikel 27; Apologie 27; Schmalkaldische Artikel 3 und 14). Damals freilich richtete sich Kritik und Protest der Reformatoren vor allem gegen eine verbreitete Lehre, nach der ein Leben nach den "evangelischen Räten" (Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam - s.o. 2.1) einem höheren geistlichen Stand zu verdienen vermöge, über den durch die Taufe allen Christen geschenkten hinaus: einem "Stand der Vollkommenheit". Darin sahen die Reformatoren einen tiefen Widerspruch gegen das biblische Evangelium der Rechtfertigung aller Glaubenden allein durch Gottes Gnade, allein durch die Heilstat Jesu Christi am Kreuz und also allein durch den Glauben an ihn. Hinzu kamen allerlei schwere Mißbräuche innerhalb des damaligen Klosterlebens, durch die sie sich in diesem Urteil bestärkt sahen. Die evangelischen Kommunitäten heute haben die Tradition monastischen Lebens nach den "evangelischen Räten" neu aufgenommen in dem Wissen, daß man als evangelischer Christ auf dem Boden der biblischen Rechtfertigungslehre sehr wohl mit Profeß und Ordensregel leben kann, ohne zu meinen, damit "bessere Christen" zu sein. Im Alltag ihres engen Zusammenlebens in verbindlicher Geschwisterschaft verdichten sich sogar Erfahrungen von Anfechtung und Schuldigwerden in besonderer Weise, - ebenso aber auch immer neue Erfahrungen, wie durch Gottes Vergebung und durch die Hilfe seines Geistes ein Miteinanderleben in Armut, Keuschheit und Gehorsam in Freiheit und Freude gelingen kann. Eben darin werden sie bestärkt durch die Gemeinsamkeit mit katholischen Ordensgemeinschaften, die heute mit dem Zerrbild monastischen Lebens, das damals den Reformatoren vor Augen stand, nichts mehr zu tun haben. Was die Rechtfertigung allein durch Christi barmherzige Liebe anlangt, gibt es heute kaum anderswo so tiefe Gemeinsamkeiten zwischen evangelischen und katholischen Christen wie zwischen Kommunitäten und Ordensgemeinschaften. So konnte bereits 1980 anläßlich des 450. Jubiläums des Augsburgischen Bekenntnisses zum Thema "Mönchtum und Ordensleben" nach Artikel 27 von beiden Seiten gemeinsam erklärt werden: "Monastische Formen gemeinschaftlichen Lebens als eine Weise entschiedener Verwirklichung des Evangeliums sind für Katholiken und Lutheraner theologisch wie praktisch eine legitime Möglichkeit, auch wenn die Interpretation im einzelnen beim gegenwärtigen Stand des Gesprächs - auch innerhalb des Luthertums - noch offen bleibt".

5.3

Nach den VELKD- und EKD-Beschlüssen hat die Ev.-Luth. Kirche in Bayern durch ihren Landesbischof im Dezember 1990 die zehn evangelischen Kommunitäten in ihrem Bereich gebeten, ein "Statement" zur ekklesiologischen Standortbestimmung kommunitären Lebens vorzulegen, das als Grundlage für ein dauerhaftes Vertrauensverhältnis dienen kann. Dies ist im Mai 1991 geschehen. Das Statement mit 9 Punkten ist im Einvernehmen mit der Kirchenleitung veröffentlicht worden. Dies ist ein beispielhafter Vorgang, der in der gesamten EKD von Bedeutung sein dürfte. 12 Ein nächster Schritt könnte darin bestehen, daß alle anderen Landeskirchen, in deren Bereich Kommunitäten leben, sich dieser Grundsatz-Erklärung anschließen.

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6. Die Kommunitäten im vereinigten Deutschland

6.1 

Zur Zeit der Getrenntheit Deutschlands, insbesondere seit dem Bau von Mauer und Stacheldraht 1961, haben sich die Kommunitäten in der BRD und in der DDR völlig selbstverständlich in einem geschwisterlichen Verhältnis gewußt und dieses je nach den bestehenden Möglichkeiten praktiziert. An den Kommunitätentreffen Ost, die in der Regel in Polen stattfanden, waren immer westdeutsche Gemeinschaften vertreten und beteiligt (wie übrigens auch anglikanische Ordensgemeinschaften). Und zwischen den einzelnen Kommunitäten gab es einen ständigen Besuchskontakt.
Seit dem Fall der Mauer ist das anders geworden. Inzwischen gehören die ostdeutschen Kommunitäten zur Konferenz der Leitungsverantwortlichen (KEK). Das ist bei dem großen akuten Beratungsbedarf der ostdeutschen Gemeinschaften (s.o.) von erheblicher praktischer Bedeutung.

6.2

Beachtenswert ist, in welchem Ausmaß inzwischen westliche Kommunitäten im Osten Deutschlands und auch umgekehrt ostdeutsche Gemeinschaften im Westen tätig sind. Die Kommunität Gnadenthal hat seit 1990 in Hennersdorf/Sachsen ein "Werk- und Studienzentrum" aufgebaut. In einer Holzfabrik wurde eine Großschreinerei als Zweigbetrieb der Gnadenthaler errichtet und um sie herum die Errichtung anderer handwerklicher Betriebe angeregt, mit erheblicher Folgewirkung für den Arbeitsmarkt der umgebenden Region. Zugleich hat die Kommunität die dortige denkmalgeschützte "Alte Spinnerei" völlig neu renoviert und als Wohngemeinschaft für Famillien und als Tagungsstätte eingerichtet. Die feierliche Segnung des Hauses fand am 3. 10. 1995 statt. In dem Werkraum der Schreinerei werden Sonntags-Gottesdienste gehalten, an denen zusehens mehr christentumsfremde Menschen teilnehmen.

6.3

Zugleich hat die Kommunität Gnadenthal zusammen mit den Brüdern der Christusbruderschaft eine neue christliche Gemeinschaft in Volkenroda/Thüringen angesiedelt. Hier ist die älteste Klosterkirche der Zisterzienser in Deutschland wieder aufgebaut worden. Das in moderner Stahlbauweise dazu geplante Langhaus soll auf der Weltausstellung in Hannover ausgestellt und danach in Volkenroda aufgebaut werden. Die verfallenen alten Klostergebäude werden der Reihe nach renoviert und als europäische Jugendbildungsstätte benutzt werden. Zugleich entsteht in teilweiser Kooperation mit Betrieben in Volkenroda eine Dorfgemeinschaft ähnlich wie die in Gnadenthal. Das Herz dieses vielfältigen Arbeitsalltags ist das Tagesgebet, das von den Brüdern der Christusbruderschaft geleitet wird.

6.4

Ferner hat die Communität Casteller Ring seit Herbst 1996 im Augustinerkloster in Erfurt eine Schwesternstation eingerichtet, die das Tagzeitengebet in der Klosterkirche trägt und für die Gäste im Klosterhospiz sowie für die Menschen der Stadt Seelsorge anbietet. Ebenso seit 1996 unterhält die Christusbruderschaft Selbitz eine Zelle von drei Schwestern in Magdeburg. Sie leben auf dem Grund und Boden eines ehemaligen Augustinerklosters. Zu ihren Tagzeitengebeten in der Kapelle der Reformierten Kirche und in der katholischen Petruskirche sind alle Stadtbewohner eingeladen.

6.5

Umgekehrt lebt seit August 1996 eine kommunitäre Gruppe von Schwestern der "Diakonischen Schwesternschaft Wolmirstedt" im Kloster Barsinghausen. Und demnächst wird eine Gruppe von Schwestern des Schniewindhauses im Kloster Wennigsen einziehen. So entsteht - zusammen mit dem Kloster Wülfinghausen - ein Ring neuen kommunitären Lebens in alten Klosteranlagen, die von der Klosterkammer Hannover verwaltet werden und unter der Leitung ihres Präsidenten, Prof. Dr. Axel von Campenhausen, für diesen Zweck großzügig restauriert worden sind.

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7. Kommunitäten und Ökumene

7.1 

Von Anfang an und in allen nach Herkommen und Lebensart verschiedenen Kommunitäten ist die Einheit der Kirche im Sinne des Nizänischen Glaubensbekenntnisses ein wesentliches Thema. Das hat seinen entscheidenden Grund in der zentralen Bedeutung von Gottesdienst und Gebet im praktischen Leben ihres Alltags. Wer so geistlich-intensiv aus dem ständig-wachen Hören auf die lebendige Stimme der Heiligen Schrift als Gemeinschaft lebt, vernimmt überall die letzte Bitte Jesu an seinen himmlischen Vater, "daß sie alle eins seien" (Joh 17,20-26), und bezieht das nicht nur konkret auf das Eins-Sein der Schwestern und Brüder in der eigenen Gemeinschaft, sondern zugleich auf die ganze Kirche (1Kor 1,1f). Daraus ergibt sich wie von selbst, daß in der eigenen Fürbitte für die Kirche diese letzte Bitte des Herrn für ihre Einheit entsprechend erste Priorität hat. Diese Einsicht teilen die Kommunitäten mit allen christlichen Gemeinden, die in gleicher Weise mit der Heiligen Schrift als dem der ganzen Kirche gegebenen Wort Gottes leben. Dieses geistliche Anliegen verdichtet sich noch durch die regelmäßige Teilhabe am Heiligen Abendmahl. Ist es doch der Herr, der für die Einheit seiner Kirche betet, dem wir in seinem Mahl leibhaftig begegnen! In den Kommunitäten wird in dieser z.T. täglichen, überall aber häufigen praktischen Erfahrung mit diesem Sakrament sehr realistisch nachvollziehbar, wie der Apostel Paulus aus der Einheit des im Brot gegenwärtigen Leibes Christi die Einheit seiner Kirche als des einen Leibes erwachsen sieht, dessen Glieder alle sind, die in der ganzen Welt von diesem gesegneten Brot essen und dem Kelch der Danksagung trinken (1.Kor 12,12-27, vgl. 10,16f). Bereits die älteste Gruppierung der kommunitären Bewegung dieses Jahrhunderts, die "Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst", hat die Bitte um die Einigung der zerspaltenen Christenheit zur Mitte ihres täglichen Gebets gemacht. Noch heute wird dieses Einheitsgebet in vielen Kommunitäten mittags gebetet. (s.o. 2.4)

7.2

Aus der gleichen eucharistischen Erfahrung ergibt sich nun aber auch, daß die evangelischen Kommunitäten sich in einem besonderen kirchlich-geschwisterlichen Verhältnis zu allen Ordensgemeinschaften anderer Kirchen wissen. Daraus ist von Anfang an ein fundamentales Interesse erwachsen, zu möglichst vielen von ihnen Beziehungen aufzunehmen. Nahezu jede evangelische Kommunität pflegt so ihre je eigenen Verbindungen mit katholischen, anglikanischen und teilweise auch orthodoxen Klostergemeinschaften. Dabei zeigt sich, für alle überraschend, eine tiefe geistliche Verwandtschaft untereinander, die nicht erst durch diese Begegnungen entsteht, sondern im Vollzug des gemeinschaftlichen Lebens schlicht gegeben ist. So hat sich innerhalb der allgemeinen ökumenischen Bewegung zwischen den Kirchen noch einmal eine besondere ökumenische Nähe, ja Gemeinschaft zwischen den Kommunitäten entwickelt. Sie geht in der Praxis erstaunlich weit, ohne daß davon viel in die Öffentlichkeit gelangt. Es gibt regelmäßige Begegnungen zwischen den Novizinnen und den Schwestern, die für ihren Unterricht verantwortlich sind. Bei den Wahlen von Priorinnen und vor allem bei den Profeß-Feiern sind Vertreterinnen vieler anderer Ordensgemeinschaften als geschwisterliche Gäste dabei. Daß diese ökumenische Nähe auch über Deutschlands Grenzen hinaus gegeben ist, zeigt die Teilnahme evangelischer Kommunitäten am "Internationalen und Interkonfessionellen Kongreß für Ordensleute" (CIR). Der Kongreß 1995 hat erstmals in einer evangelischen Kommunität getagt: Die Kommunität Christusbruderschaft hat ihn in Selbitz ausgerichtet. Es ist kein Geheimnis, daß zwischen benachbarten und befreundeten Kommunitäten und Ordensgemeinschaften in völliger Selbstverständlichkeit und Herzlichkeit eucharistische Gastfreundschaft geübt wird. Als großes Vorbild gilt überall ein regelrechter ökumenischer Vertrag zwischen einem deutschen katholischen Benediktinerkloster und einer anglikanischen Ordensgemeinschaft in England, der außer täglicher Fürbitte füreinander regelmäßige Gastaufenthalte von Mönchen der einen in der anderen Gemeinschaft vorsieht, zu denen auch die gastweise Teilnahme an der Eucharistie gehört.

7.3

Hier und dort kommt die Besorgnis zu Wort, ob sich in all dem nicht ein Trend zur "Katholisierung" zeige. In einem tieferen theologischen Sinn läßt sich durchaus sagen, daß "Katholizität" nach dem Nizänischen Glaubensbekenntnis von den Kommunitäten als wesentlicher Horizont der "Gemeinschaft der Heiligen" ganz neu entdeckt und gelebt wird. Das geschieht in voller Übereinstimmung mit den evangelischen Kirchen selbst, die sich ja nicht weniger als "katholisch" wissen als die römisch-katholische Kirche. Die lebendige ökumenische Geschwisterschaft zwischen evangelischen Kommunitäten und katholischen Ordensgemeinschaften enthält jedoch keinerlei "katholisierenden" Trend im konfessionellen Sinn. Zwar gibt es vereinzelt hier und da Konversionen in beiderlei Richtung. Diese werden zwar als individuell-persönliche Entscheidungen von beiden Seiten respektiert, bewirken aber in jedem Fall innerhalb der betroffenen Gemeinschaft schmerzliche Verwundungen. Grundsätzlich jedoch ist auf beiden Seiten völlig klar: Durch Konversionen wird Ökumene nicht bewirkt, sondern nur belastet.

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8. Andersartige geistliche Gemeinschaften

Zu Beginn dieses Berichtes (2.2 - 3) wurde darauf hingewiesen, daß es neben den Kommunitäten im engeren Sinn eine große Zahl andersartiger geistlicher Gemeinschaften gibt. Nur wenn man diese Vielfalt in ihrer ganzen Bandbreite in den Blick faßt, kann ein Bild von der geistlichen Erneuerungsbewegung entstehen, das der tatsächlichen Situation der Gegenwart entspricht. Daß sich dieser Bericht nahezu ausschließlich auf die Kommunitäten beschränkt, hat rein pragmatischen Grund: Die Beauftragung des Berichterstatters bezieht sich auf die zölibatären Gemeinschaften, zu deren Wahrnehmung in der Kirche und zu deren Integration in den Lebensraum der Kirche ein besonderer "visitatorischer" Dienst in der Tat besonders nötig ist. In diesem Schlußteil soll aber wenigstens noch ein Ausblick auf die andersartigen Gemeinschaften gegeben werden. Die Vielfalt ist hier noch größer als bei den Kommunitäten. Zur Strukturierung empfiehlt es sich, zwischen Gemeinschaften, deren Mitglieder ständig miteinander leben, und solchen, die Christen, die ein je eigenes bürgerliches Leben führen, einen Zusammenhalt geben und damit zugleich eine Hilfe zu einer Gestaltung dieses Lebens als christliches Leben, zu unterscheiden. 

8.1

Unter den Lebensgemeinschaften sind zunächst die "Familien-Kommunitäten" hervorzuheben. Sie geben eine christliche Antwort auf ein Problem, das in der allgemeinen Befindlichkeit unserer Gesellschaft immer dringlicher wird: Wie kann es im Zusammenhang der tiefgreifenden Individualisierung des Lebensentwurfs und der Lebenspraxis von immer mehr Menschen und damit zugleich der Pluralisierung von Lebensformen Strukturen neuer Gemeinschaftlichkeit geben? Da christliches Leben grundsätzlich ohne Formen von Gemeinschaft nicht gelebt werden kann, da aber die Struktur normalen kirchengemeindlichen Lebens an jener allgemeinen Problematik vollauf teilhat, ist in der Kirche die Frage nach neuen Gemeinschaftsformen besonders brisant. Die Familienkommunitäten wollen so etwas wie Experimente christlicher Großfamilien sein, also einer sozialen Lebensform vergangener Zeiten neue und neuartige Chancen geben. Die Großfamilie hatte ihren ursprünglichen Lebensort im ländlichen Bereich. Es ist daher nicht von ungefähr, daß die meisten Familienkommunitäten sich auf dem Lande, als Hof- bzw. Dorfgemeinschaften angesiedelt haben. Die Kommunität Gnadenthal hat, wie gesagt, dieses Selbstverständnis als christliche Dorfgemeinschaft gezielt ausgearbeitet: Lebenswelt und Arbeitswelt fallen hier zusammen. Erst später ist den Mitgliedern dieser Kommunität bewußt geworden, daß sie damit dem ältesten Modell christlichen Klosterlebens entsprechen- mit dem entscheidenden Unterschied, daß hier Familien mit Zölibatären zusammenleben. Und die Familien sind in Gnadenthal (wie so auch in Hennersdorf und Volkenroda) ein wesentliches Element der Kommunität als ganzer. Gleiches gilt für die "Lebensgemeinschaft für die Einheit der Christen" im Schloß Craheim, Stadtlauringen, in der sich eine Familiengemeinschaft mit der Kommunität der Jesu-Weg-Schwestern zu einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen hat.

Ähnlich, wenn auch in der ersten Aufbauphase noch nicht klar strukturiert, lebt die Familienkommunität Siloah in Neufrankenroda mit einem offenen Kreis von Mitarbeitenden zusammen. Ob sie sich diesem Namen entsprechend weiterentwickeln wird, so daß wie in Gnadenthal die Familien eine Einheit für sich bleiben, um die herum sich kommunitäre Gruppen von Einzelnen bilden, oder ob aus dem gegenwärtigen Anfangsstadium einmal die Form einer "Basisgemeinde" werden wird, ist noch offen.

"Basisgemeinden" sind Lebensgemeinschaften von Familien, Ehepaaren und Einzelnen, die als solche eine christliche Gemeinde sein wollen. Die in Wulfshagenerhütten (bei Kiel) ist ein lebendiges Beispiel für eine solche Gemeinde, in der - wie in Gnadenthal - Lebenswelt und Arbeitswelt eines sind. Sie lebt auf einem großen Hofgelände in ländlicher Umgebung. Dagegen ist die Diakonische Basisgemeinde in Hamburg ein entsprechendes Experiment inmitten einer Großstadt. Hier üben einige Mitglieder ihren Beruf (noch) auswärts aus. Das Ziel ist aber die diakonische Arbeitsgemeinschaft aller in einer Lebensgemeinschaft, in der immer Asyl suchende Ausländer und Nichtseßhafte zeitweise mitleben können.

Eine Kommunität von Familien, Ehepaaren und Singles ist die Communität Hermannsburg. Einige Mitglieder üben ihren Beruf auswärts aus. Das kommunitäre Leben mit einer ordensmäßigen Regel und entsprechender Lebenspraxis vereint alle zu einer verbindlichen Lebensgemeinschaft.

Ähnlicher Art ist die Gemeinschaft "Christen in der Offensive e.V." in Reichelsheim (früherer Name: "Offensive junger Christen" - das Kürzel OJC gilt noch immer). Hier leben Ehepaare mit und ohne Kinder sowie Alleinstehende in mehreren Hausgemeinschaften als eine Kommunität mit einer sogenannten "Jahresmannschaft" von jungen Frauen und Männern, die auf der Suche nach ihrer Identität und nach ihrem Lebensweg sind, zusammen. In diesem Zusammenhang unterhält die Kommunität ein "Institut für Jugend und Gesellschaft", ein "Seminar für Biblische Seelsorge" sowie ein Jugend-Begegnungszentrum mit einem im Aufbau befindlichen Museum über das jüdische Leben in der Stadt Reichelsheim.

Anderer Art ist der Laurentiuskonvent in Wethen (Hessen). Hier leben Hausgemeinschaften von Großfamilien in einem Verbund als "Basisgemeinschaft" zusammen. Einerseits geht es um den "Versuch eines intensiven Gruppenprozesses" im Sinne einer Schalom-Gemeinschaftskultur; andererseits verbindet alle Mitglieder "die Bereitschaft, sich gesellschaftlich, politisch und kirchlich im Sinne des biblischen Begriffs Schalom (Frieden) zu engagieren. 4 % aller Einkommen fließen in einen gemeinsamen Verfügungsfonds, mit dem Projekte in der 2/3-Welt oder auch in der eigenen Gesellschaft unterstützt werden."14 Die Schalom-Kultur im gemeinsamen Leben und das politisch-gesellschaftliche Schalom-Engagement werden als Einheit verstanden und gelebt. Von den Kommunitäten ist diese Gemeinschaft dadurch unterschieden, daß es in Wethen kein gemeinsames Tagzeitengebet gibt, sondern nur ein Schalom-Gebet zum Wochenschluß.

8.2

Brüder- und Schwesternschaften, die nicht in einer Lebensgemeinschaft zusammenleben, gibt es viele. Oft sind es Gemeinschaften ohne Regel und feste Organisationsform. Festere Form haben die Gemeinschaften, in denen sich Pfarrer, Prediger oder Lehrer zusammengeschlossen haben, - etwa die Ahldener Bruderschaft, die das geistliche Rüstzentrum in Krelingen (gegründet 1971 von Pfarrer Heinrich Kemner) trägt; die Bahnauer Bruderschaft (1948 neugegründet von den Pfarrern Max Fischer und Johannes Wieder); die Pfarrer-Gebetsbruderschaft (unter diesem Namen seit 1945); der Freudenstädter Kreis (seit 1927); die "Bruderschaft vom Kreuz", eine Gemeinschaft vor allem von Lehrern, die seit 1969 eng mit der "Bruderschaft vom gemeinsamen Leben" verbunden ist; die "Kleinen Brüder vom Kreuz" (seit 1977 in Hermannsburg); die ökumenisch orientierte St. Jakobusbruderschaft (seit 1964). Besonderen Charakter hat der Johanniter-Orden (offizieller Name: Balley Brandenburg des Ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem"), der sich auf den gleichnamigen Ritterorden von 1113 zurückführt. Ebenfalls auf mittelalterliche Gründung geht das (ehemals zisterziensische) Kloster Amelungsborn zurück, in dem heute ein evangelisch-lutherischer Abt mit einigen Konventualen regelmäßig einen Kreis von Männern verschiedener Berufe als "Familiaritas" des Klosters zu Einkehrtagungen versammelt.

Eine sehr viel festere Form haben einige große Bruder- und Schwesternschaften, die für das Leben der evangelischen Kirche eine wichtige Bedeutung gewonnen haben. Hier ist zuerst die Evangelische Michaelsbruderschaft zu nennen, die 1931 gegründet worden ist (Stiftungsurkunde) und seit 1937 nach einer Regel lebt, die das geistliche Leben des einzelnen Bruders und ihr Zusammenleben in regionalen Konventen regelt. Ein liturgisch reicher Wort- und Eucharistiegottesdienst sowie ein Tagzeitengebet, das nach gregorianischer Tradition gemeinsam gesungen wird, aber auch in den Familien der Brüder in einer einfacheren Form gebetet werden kann, sind die Mitte ihres Lebens. Die Bruderschaft will selbst Kirche sein und verpflichtet die Brüder zu aktivem Dienst in ihren Kirchengemeinden. Geistliche Übungen und regelmäßiges Fasten gehören ebenso zu ihrer Spiritualität wie die Bereitschaft, politische Verantwortung zu übernehmen. Die Mitte der Bruderschaft und das Herz ihres geistlichen Lebens ist das Kloster Kirchberg in Württemberg. Die evangelische Kirche verdankt weitgehend der Michaelsbruderschaft die Wieder- und Neugewinnung liturgischer "Katholizität". Mit ihr eng verbunden ist der "Berneuchener Dienst", eine Gemeinschaft von Frauen und Männern in weniger verbindlicher Ordnung, aber gleicher Zielrichtung. Seit einigen Jahren gibt eseine neue Gemeinschaft von Frauen und Männern mit einer der Michaelsbruderschaft entsprechenden Regel: die "Gemeinschaft St. Michael". In Berlin lebt in enger Verbindung zur Michaelsbruderschaft die "Evangelische Gabriels-Gilde" (seit 1958), deren Mitte das "Haus der Stille" in Wannsee ist.

Im norddeutschen Raum ist ferner die "Ansverus-Kommunität" und der "Ordo Pacis" zu nennen: Die erstere ist eine Gemeinschaft von Frauen und Männern mit eigener geistlicher Ordnung und Liturgie (Ansverus-Psalter!), die in Aumühle bei Hamburg ein Einkehrhaus als ihre Mitte und zugleich als Ort vieler kirchlicher Tagungen hat. Der Ordo Pacis ist eine Schwesternschaft alleinstehender wie auch verheirateter Frauen mit einer Regel, nach der die drei "evangelischen Räte" als "geistige Grundhaltungen" in einer bürgerlichen Lebensform gelebt werden können, und mit einer Spiritualität, in der der in Gottesdienst und Gebet empfangene Friede Christi durch persönlichen Einsatz jeder Schwester in die Welt getragen werden soll. Ihre Mitte ist ein Haus in Fleestedt bei Hamburg, in dem eine kleine Gruppe von Mitgliedern als "Cella St. Hildegard" kommunitär lebt, in einer streng kontemplativen Lebensform, an deren Praxis Gäste - auch in regelmäßig gehaltenen Retraiten - teilnehmen können.

9. Abschluss

Alles in allem: Die Kommunitäten, Schwestern- und Bruderschaften und Basisgemeinden sind ein wichtiger Bereich intensiven geistlichen gemeinschaftlichen Lebens innerhalb der evangelischen Kirche, in dem sich ein wesentlicher Teil kirchlicher Erneuerung vollzieht. Es sind jeweils Orte des Gebets und der Fürbitte für Kirche und Welt, Orte mit einer Fülle verschiedener Angebote für Gäste zur Erfahrung und zum Erlernen von Formen geistlichen Lebens, die der evangelischen Christenheit weitgehend verlorengegangen sind und deren Neugewinn zugleich ein Wiedergewinn uralter gesamtkirchlicher Spiritualität ist und damit eine tiefe ökumenische Gemeinsamkeit mit den anderen christlichen Kirchen öffnet.

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Quelle: http://www.ekd.de/EKD-Texte/2123_kommunitaeten_1997_kloster1.html
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