Lothar Kugler (1885-1931) war von 1924 bis 1931 Kaplan in St. Othmar. Eine von Friedrich Wessely verfasste Biographie erschien 1948 im Verlag Herder - Wien. Im Kapitel "In der Pfarre St. Othmar" findet man eine kurze Beschreibung der Mitarbeiter der Pfarre aus dem Jahr 1924:
Im September 1924 kam Dr. Kugler als Kaplan an die Pfarrkirche St. Othmar in Mödling. Der Pfarrherr (Anm.: Pfarrer war damals Leopold Rögner) hat wohl große Augen gemacht über seinen neuen Mitarbeiter. Er selbst war erst vor kurzem Pfarrer in Mödling geworden. Er war ein Mann von freundlicher Umgangsart, der seine priesterlichen Aufgaben getreu erfüllte, so wie er sie eben verstand. Wenn er sich mit seinem neuen Kaplan nicht messen konnte, was den Blick für die sozialen Nöte und die materiellen Bedürfnisse der Pfarrgemeinde angeht, wenn er nicht imstande war, ein großzügiges Seelsorgeprogramm zu entwerfen und durchzuführen, so war dies gewiss nicht seine Schuld. Es ist kein Wunder, wenn er sich durch seinen neuen Kaplan etwas bedrückt fühlte, und es ist durchaus verständlich, wenn er sorgsam darüber wachte, dass ihm die Zügel der Regierung nicht entglitten. Aber er hatte im großen und ganzen keine große Mühe, weil er in Dr. Kugler einen Mitarbeiter hatte, der sich allen seinen Wünschen fügte und immer wieder durch sein demütiges Verhalten entwaffnete, wenn es irgendeine Meinungsverschiedenheit auszugleichen gab.
Der Pfarrherr war also wohl erstaunt, als sein neuer Kaplan, ein Primiziant von 40 Jahren, vor ihm stand. Eine hochgewachsene ernste Gestalt mit Soutane und Pelerine bekleidet und bedeckt mit einem hohen, oben ausgestülpten Hut mit breiter Krempe. Er kam mit unzähligen Kisten und Koffern - einer ganzen Bibliothek. Was für einen seltsamen Vogel hat ihm doch das e. b. Ordinariat da geschickt!
Und erst die Zimmereinrichtung! Es standen dem Kaplan zwei Zimmer zur Verfügung, ein großes mit breitem Fenster und dem Blick über die ganze Stadt, und ein kleines Schlafzimmer. Ein Ofen war so eingebaut, dass er dem kleinen Zimmer noch etwas Wärme abgab. In diesen beiden Zimmern wohnte Dr. Kugler. Die Einrichtung glich ungefähr jener von Breslau. Auch hier die langen hohen Bücherschränke mit den an den Fäden herabbaumelnden komischen Figuren, auch hier die unvermeidlichen Holzböcke mit den darüber gelegten Brettern, die ganze Stöße von Büchern tragen mussten. Auch hier musste sich der Besucher erst nach einem Platz umsehen, auf dem er sich niederlassen konnte. Dennoch hatte man nicht den Eindruck der Unordnung. Alles hatte vielmehr seinen ihm bestimmten Platz. An der Tür grüßte den Besuchler ein sorgfältig mit kleinen Buchstaben geschriebener Spruch, der fast in allen Nekrologen Erwähnung fand und der so sinnreich das Ideal des neuen Kaplans zum Ausdruck brachte:
Je siecher du bist, desto lieber du mir bist,
je ärmer du bist, umso gleicher du mir bist,
je verschmähter du bist, umso näher du mir bist.
Ave! Tritt ein! Ich erwarte dich schon lange.
Dr. Kugler bewohnte nicht allein den ersten Stock des Pfarrhofes. Zur Linken wohnte ein Religionslehrer, ein Weltkriegskurat und Freund der Soldaten, der in seinem Wesen etwas Herbes und Kerniges hatte, dabei aber ein sehr gutes Herz und kaum einem Bittsteller etwas verweigerte. Er war nicht Kaplan, sondern half im pfarrlichen Leben nur aus. Oft klopfte Dr. Kugler abends an seine Tür, wenn eine besondere Gefälligkeit verlangt wurde. "Möchtest Du morgen um 6 Uhr nicht in die Spitalkirche hinunterhüpfen, der X ist kränklich ...", und der Herr Kurat "hüpfte" bereitwillig hinunter.
Enger war der Kontakt, in dem er mit dem Kaplan zur Rechten stand. Es war ein Priester, von höchstem Idealismus beseelt, und der vielleicht erfolgreichste Kaplan von Mödling. So verschieden er von seinem älteren Mitbruder war, er verstand ihn und half ihm in den ersten Schwierigkeiten, sorgte rührend für ihn und hatte dabei eine so starke Hand, dass sich Dr. Kugler fügte. Um das Breviergebet nicht allzu lang werden zu lassen, rezitierte er mit ihm die Psalmen und sorgte auch dafür, dass sein Mitbruder seine abendlichen Arbeiten unterbrach und sich zur Ruhe legte. Es war eine Lust, die beiden Freunde in ihrer seelsorglichen Arbeit so vereint zu sehen. Leider dauerte dieses Zusammenleben nur ein Jahr und von da an fühlte sich Dr. Kugler recht einsam, um nicht verlassen zu sagen.
Ein Wort muss auch gesagt werden über das Kirchenpersonal, das an der Pfarre angestellt war. Da war der Mesner, dessen Liebe zur Feuerwehr und Rettungsgesellschaft manchmal das Interesse für die Kirche übertraf, und der sich für viele Vergesslichkeiten manches Wort von Dr. Kugler sagen lassen musste. Am deutlichsten dürfte ihm von diesem zum Bewusstsein gebracht worden sein, dass er ein "Knochen" sei. Aber er war über diesen Ehrentitel nicht gekränkt, sondern eher stolz darauf, so "vertraulich" behandelt zu werden.
An der Pfarre war weiterhin ein Glöckner angestellt, ein sonderbares Original, mehr sonderbar als Original, dessen "Führungen" im Karner von Mödling mehr die Heiterkeit als das Kunstverständnis förderten. Aber er war ein Mann der Pünktlichkeit und in dieser Beziehung unbedingt verlässlich. Daher wurde er von Dr. Kugler zu seinem Wecker ernannt. Zeitig am Morgen, bevor er seinen Glockenturm bestieg, läutete er mit Ausdauer den Herrn Doktor aus den Federn. Zur Sicherheit wurden manchmal auch noch die lieben Mitbrüder ersucht, das Amt des Weckers zu vollenden. Besonders in den letzten Zeiten, da die Kräfte schon abnahmen, kostete es stets einen Kampf, sich aus der Horizontalen zu erheben. Er war um so größer, je später die Arbeiten in der Nacht vorher Dr. Kugler zu Bett kommen ließen. Aber dies war zu bewundern, dass der Zustand der Übermüdung und manchmal der Krankheit den Humor nicht tilgte. "Jetzt soll ich aufstehen?" pflegte er gerne zu sagen, "es heißt doch im Psalm: surgite postquam sederitis! und ich hab' mich doch noch nicht einmal niedergesetzt!" So stand er nun auf und sehr oft sehr zeitig, weil eine fromme Seele, die am frühen Morgen nach Wien in die Arbeit musste, vorher noch die hl. Kommunion empfangen wollte, zu der sie von Dr. Kugler selbst eingeladen worden war.
Nicht vergessen werden darf auch der Organist von St. Othmar. Noch gerne erinnert er sich an den Herrn Doktor und erzählt, wie er von ihm begrüßt zu werden pflegte: "Wie geht's Dir, Lump?" oder in der Sakristei: "Maestro, alter Lump, was wirst Du heute spielen ?"
Ja, der Dr. Kugler, sagen heute noch die Angestellten, so einer kommt nicht mehr. Seine Gegenwart brachte bei allem Ernst, der ihm eigen war, merkwürdig viel Heiterkeit und Frieden.
aktualisiert am 18-Mar-2022
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