Goldenes Priesterjubiläum von Prälat Wilhelm Müller

Predigt zu Lukas 5 v.1-11
von Dr. Klaus Heine, Pfarrer i.R. †


Verehrter Herr Prälat, lieber Willi, liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Herr, auf dein Wort will ich die Netze auswerfen! So lautete der Wahlspruch bei Deiner Primiz am 29.6.1961. Er steht beim Evangelisten Lukas in einem besonderen Zusammenhang. Die Geschichte vom wunderbaren Fischzug des Petrus beginnt mit einer Dienstleistung. In einer Zeit ohne Lautsprecheranlage wurde die Volksmenge besser erreicht, wenn Jesus über die Wasseroberfläche sprach. Und Jesus bedient sich der medialen Hilfe. Deshalb lässt er sich von einem der Fischer, die sich nach der nächtlichen, leider erfolglosen Fangfahrt um die Netze kümmern, ein paar Meter vom Ufer wegrudern, damit die Menschen besser zuhören können. Was hat wohl der müde und frustrierte Simon Petrus, der bei ihm im Boot saß, davon mitbekommen?

Es geschieht jedenfalls Erstaunliches.

Als Jesus mit seiner Rede fertig ist, fordert er Petrus auf, noch einmal zum Fang auf den See hinauszufahren. Der erfahrene Fischer antwortet: Wir haben zur günstigen Nachtzeit trotz stundenlangen Bemühens nichts gefangen. Was hat es für einen Sinn, es jetzt am Tag noch einmal zu versuchen? Dann jedoch kommt dieses "Aber": Aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen. Was auch dagegen sprechen mag, meine Erfahrung, vernünftige Überlegungen, die Müdigkeit: Ich mache es, dir zuliebe.

Ich vertraue dir.

Was sind das für geheimnisvolle Vorgänge, die den Leitstern unseres Lebenswegs erscheinen lassen? Dass z.Bsp. Du schon im Alter von fünf Jahren in kindlicher Gewissheit erklären konntest, Pfarrer werden zu wollen und das nicht im Stil des üblichen Berufephantasierens. Was geschieht da mit uns, wie erreicht uns die vocatio interna, die innere Berufung, ohne die die äußere Beauftragung und Bestimmung in der Weihe 1961 nicht ihr endgültiges Gewicht und ihren Glanz erhalten hätten? Petrus folgt der Stimme seines Herrn, aber er weiß noch gar nicht, was ihn erwartet.

Das ist die zweite seltsame Wendung in der Geschichte. Wider jede Erwartung machen Petrus und seine Gefährten Johannes und Jakobus den Fang ihres Lebens. Die Netze beginnen zu reißen, die Boote werden beladen, bis sich die Bordkante bedrohlich dem Wasserspiegel nähert. Ein Wunder! Doch es löst bei Petrus keinen begeisterten Dank aus, geschweige denn dass er den ökonomischen Gewinn überschlägt. Das kalte Entsetzen befällt ihn und seine Gefährten. Sie spüren den Anhauch Gottes, sie erschrecken vor seiner Majestät, das Bewusstsein ihres Ungenügens und ihrer Unwürde erdrückt sie. Das ist ein fremder Vorgang in unserer Welt, in der Religion vorzugsweise der geistlichen Wellness und Unterhaltung dient, und in der immer weniger begriffen wird, dass es in der Begegnung mit Gott um Tod und Leben geht. "Weh mir, ich vergehe; denn ich bin unreiner Lippen und lebe in einem Volk unreiner Lippen" so ruft der Prophet Jesaja bei seiner Berufung aus. Es geht nicht nur um den Abstand des Geschöpfs vom Schöpfer, es geht um das erschrockene Innewerden der schuldhaften Gottesferne, der Existenz als Sünderin oder Sünder. Und immer bedarf es in dieser Krise der göttlichen Aktion: Fürchte dich nicht! Dieser schöpferische Zuspruch richtet den Menschen wieder auf und schickt ihn auf den Weg. Der irdische Beruf des Petrus wird zum Zeichen für seine besondere Beauftragung: Von nun an wirst du Menschen fangen, d.h. für das Reich Gottes gewinnen. Vor der Autorität dieses Gottgesandten haben Bedenken, Ängste, Widerstände keine Chance. Bin ich überhaupt geeignet, halte ich das aus, wer braucht mich denn, wird mich jemand hören in einer Welt, die oft genug vergessen hat, dass sie Gott vergessen hat? Da gibt es nur die Antwort wie bei Jesaja: Hier bin ich, sende mich! Oder wie bei Petrus: Herr, auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.

Der Primizspruch unseres Jubilars ist nicht auf einen Status gerichtet, sondern auf eine Bewegung; die besondere Würde liegt in der Berufung zu einem Tun und Erleiden, es ist die Widmung zu einem umfassenden Dienst im Auftrag Jesu Christi.

Ich gestehe, dass mein evangelisches Herz bei dem Ausdruck "Priesterweihe" stolpert, so ähnlich wie bei "Messopfer". Sind nicht, nachdem der wahre Hohepriester Jesus Christus sich ein für alle Mal selbst als Opferlamm am Kreuz dahingegeben hat, aller Opferkult und alles spezielle Priestertum grundsätzlich zu Ende und obsolet geworden? Sind wir nicht alle, die wir getauft sind, durch unseren Glauben unmittelbar zu Gott und haben allenfalls als Glieder am Leib Christi Anteil an seinem prophetischen, priesterlichen und königlichen Amt?

Es gehört zu den schönen Erfahrungen unseres langen gemeinsamen Weges, dass die alten konfessionellen Gegensätze in Bewegung geraten sind. Als vor wenigen Monaten Bischof Krätzl bei uns zu Gast war, hat er bei einer entsprechenden Frage noch einmal betont, dass es beim Herrenmahl nicht um das selbständige Opfer eines Priesters geht, sondern dass, wenn wir das Mahl unter dem Vorsitz des von der Kirche Beauftragten feiern, die für uns heilsame Lebenshingabe Jesu mit den eucharistischen Elementen von Brot und Wein real präsent wird. Außerdem hat mich in unserem Gespräch vor wenigen Wochen beeindruckt, dass Du weniger die Priesterw e i h e als die Ordination zu dem besonderen Dienst und Amt betont hast, das bei aller Wertschätzung des Laienapostolats unaufgebbar ist. Das trifft sich mit meiner Erfahrung, dass unser geistlicher Beruf nicht einfach von der Kirche oder der Gemeinde als Funktion übertragen ist, sondern eine Berufung durch Gott darstellt, die das ganze Leben umgreift, vor der man auch nicht pensioniert werden kann. Spezielle Aufgabenbereiche können freilich wechseln, aber in der Sache selbst bleibt es eine Lebensaufgabe. Das ist der Versuch einer evangelischen Annäherung an das, was mit dem character indelebilis, der unzerstörbaren Prägung, in der Priesterweihe gemeint ist.

"Herr, auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen." Menschen fangen für das Reich Gottes. Das Bild des Fischnetzes hat ja von Seiten der Fische aus betrachtet, eine eher bedrückende Anmutung: Eng aneinandergepresst, ängstlich, in Unfreiheit, erwarten sie ihr Ende als willkommene Nahrung für die Fischer und für die, denen ihr Fang auch zugute kommt. Von dieser unerfreulichen Tiefenstimmung ist in dem Aquarell, das die Mödlinger Künstlerin Anneliese Margetich zu Prälat Müllers Primizspruch gemalt hat, überhaupt nichts zu spüren. Im oberen Teil des Bildes schwimmt die Kirche von St.Othmar wie ein Schiff, an ihm hängt schwungvoll ein Netz, das sich im großen bauchigen Unterteil beinahe auflöst. In ihm schwimmt ein fröhlicher Fischschwarm von goldenem Auferstehungslicht übergossen. Ja, es will scheinen, als seien sie gar nicht Gefangene, die in das dunkle Schiff über ihnen gehievt werden, sondern als zögen sie in gemeinsamer Anstrengung das Kirchenschiff in die Freiheit des Zeitenmeers hinaus der Gottesherrschaft entgegen.Ein schönes Symbol für Deinen Aufbruch ins geistliche Amt, lieber Wilhelm.

1961 bist Du geweiht worden, 1962-1965 fand das Zweite Vatikanische Konzil statt. Was sich schon Jahrzehnte vorbereitet hatte, brach sich nun Bahn. Die geistlichen Produktivkräfte waren entfesselt, die Hoffnung auf Erneuerung begann sich zu erfüllen, die ökumenische Bewegung erhielt neuen Schwung. Und Du warst dabei, vielleicht nicht in der "Progressivabteilung", eher ein treuer Sohn der Kirche, aber doch die Botschaft in die heutige Welt tragend.

Es heißt, wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn. Aber selbst der Apostel Paulus greift zur "Torheit" des Selbstruhms, als ihm die so genannten "Überapostel" auf die Nerven gehen und ihm den Dienst streitig machen. Da ruft er schon einmal in Erinnerung, was er geleistet und erlitten hat und dass er sich mehr als alle anderen geplagt hat. Also darf und muss ich auch in einer Predigt einiges wenigstens erwähnen. Du warst, als Du kamst, ein Glücksfall für Mödling. Die Schüler erzählten von dem sensationellen Kaplan, mit dem man über Glaubensfragen so offen diskutieren konnte. Kein Wunder, dass Dich die Stadtgemeinde unbedingt als Pfarrer haben wollte. Deine besondere Liebe galt der sorgfältigen Gestaltung der Gottesdienste. Von Deinen Liturgien leben wir noch heute. Und immer lag Dir jenseits der Pfarrgemeinde die ganze Stadtgemeinde Mödling am Herzen. Als ich wenige Jahre nach Dir in Mödling Pfarrer wurde, fanden wir uns in den Altstadterhaltungskreisen wieder.Eine ökumenische Bibelausstellung 1972 und die Gründung des ökumenischen Pfarrblatts "Kirche in Mödling" eröffneten Jahrzehnte fruchtbaren Zusammenlebens der Christen in dieser Stadt mit dem Höhepunkt des Gottesdienstes am Schrannenplatz zur 1100 Jahr Feier der Stadt Mödling.

Doch Du hattest ein zweites Leben, dessen Bedeutung weit über die Stadt Mödling hinausreichte, ja oft genug über die Grenzen Österreichs. Die Reform des österreichischen Rundfunks 1967 brachte auch in der Zusammenarbeit mit den Kirchen einen neuen Aufbruch. Führend in der Medienarbeit warst Du jahrelang das Gesicht der r.k.Kirche Österreichs im Fernsehen. Konturiert, sprachlich sorgfältig formuliert, mit klarer Botschaft waren Deine Stellungnahmen. Du warst kein bequemer Kommentator. Die Leute haben Dir zugehört. Die heute oft anzutreffende religiöse Beliebigkeit war nicht deins. Mödling wurde in Österreich bekannt als der Ort, wo der Pfarrer wohnt, der im Fernsehen spricht. Legendär waren Deine Kommentierungen großer kirchlicher Ereignisse, deren Bedeutung Du den Zusehern verständlich machen konntest. Eine Aufbruchstimmung und ein vita activa ohnegleichen. Ich habe über Deine Kraftreserven nur staunen können. Immerhin gab es da ja noch die Jahrhundertrenovierung der Kirche von St.Othmar. Und nicht vergessen möchte ich, dass im Lauf der Jahre 22 Kapläne unter Deinen Fittichen waren und von Deiner Arbeit geprägt wurden, tüchtige Leute, zwei Bischöfe, ein Dompropst, ein Regens im Priesterseminar, engagierte Pfarrer sind sie geworden. Respekt!

Doch nach dem Ende der Ära von Kardinal König fiel Reif auf die blühende gesamtkirchliche Entwicklung. Der Wind hatte sich gedreht. Man kann ja in der r.k.Kirche mit Bischofsernennungen einiges steuern. Du hast unter dieser Veränderung gelitten bis in die körperliche Gesundheit hinein und hast Dich allmählich aus der großen Medienarbeit zurückgezogen. Zu tun hattest Du als Pfarrer und Dechant ohnehin genug. Aber sicher ist Dir das Urteil "Im Sprung gehemmt", so der Titel eines Buchs von Bischof Krätzl, noch zu mild im Blick auf diese Entwicklung der Kirche. Wir haben zwar an unserem ökumenischen Weg festgehalten, unsere öffentliche Verantwortung als "hohe und lange Geistlichkeit" im Sinn einer freien Kirche in freier Gesellschaft wahrgenommen. Aber das zunehmende Schisma von oben nach unten, wie Du es einmal bezeichnet hast, hat uns natürlich belastet.

Viele Pfarrangehörige haben das wohl gar nicht mitbekommen, wie Dir zumute war; sie waren dann befremdet oder enttäuscht über gelegentliche Ungeduld oder Schroffheit. Mir hat es in der Seele weh getan, wenn dadurch Dein "Fischfang" im Gewässer der eigenen Pfarre behindert war.

Der Ruf als Dompropst nach Wiener Neustadt war zwar ehrenvoll, aber doch so etwas, um im Landserjargon zu sprechen, wie ein "Himmelfahrtskommando". Du bist zwar auch dort Deinem Wahlspruch treu geblieben und hast die Netze ausgeworfen, aber es war eine Tränensaat im Steinfeld mit immer ernsterer Bedrohung Deiner Gesundheit. Jetzt hast Du auch auf diese Stelle resigniert und bist "freischaffend".

Nach der geheimnisvollen, von Osterlicht erfüllten Parallelgeschichte zum Fischfang des Petrus im letzten Kapitel des Johannesevangeliums befragt der auferstandene Christus Petrus intensiv nach seiner Liebe, bis der geradezu in Tränen ausbricht, und setzt dann fort: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. Aber auch dann schließt er: Folge mir nach! Nicht nur die glanzvollen Zeiten des "Menschenfangs" gehören zum Gelöbnis Deines Primizspruchs, auch die Nächte der Enttäuschung, die bittere Einsicht in Schuld und Ungenügen, die Zeiten der einsamen Krankheitsschmerzen, des Leidens und der schwindenden Kraft - das ganze Leben in seinem Glanz und seinem Elend. Und so wie am Anfang die überwältigende Güte Gottes stand, wird sie Dich am Ende empfangen, wenn unser Weg zu dem dunklen Tor führt, hinter dem wir dann in himmlischem Licht sehen dürfen, was wir jetzt glauben.

Wir werden beim Eintritt in dies Tor wohl von allem entkleidet werden, unsere Erfolge, Titel und Ehrungen abgeben müssen. Dein Ablagekorb wird als Pfarrer, Dechant , Geistlicher Rat,Dompropst, Professor, Monsignore (einer von vieren, die der lächelnde Papst Johannes Paul I ernannt hat),Ehrenkanonikus von St.Stephan, als Prälat und Ehrenbürger der Stadtgemeinde Mödling wohl ziemlich voll werden. Ich hoffe, Du wirst es mit einem erinnernden Lächeln tun können, weil diese Ehrungen ja doch, ob nun in liebevoller Anerkennung oder in grimmigem Respekt verliehen, jede ein Zeugnis des Dankes für Dein Wirken als Priester sind.

In dem umfassenden Dank an Gott, dass es Dich gibt, bleibt auch Raum für unseren Dank für alles, was wir von Dir empfangen haben, und für das Bekenntnis, dass wir Dich lieben und ehren. Amen.

Klaus Heine


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aktualisiert am 18-Mar-2022
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