Schon seit 1983, als die letzte große Restaurierung von St. Othmar stattfand und verschiedene Ideen zur Umgestaltung des Innenraumes gewälzt wurden, will ich den Dom von Pienza sehen, um die angeblich große Ähnlichkeit mit unserer Pfarrkirche nachzuvollziehen. In den Semesterferien 2013 ist es endlich soweit, ein Aufenthalt in Anghiari in der Nähe von Arezzo macht es möglich auch einen Abstecher nach Pienza zu machen.
An einem sonnigen aber bitterkalten Februartag fahren wir mit dem Mietauto von der italienischen A1 in Richtung Montepulciano ab und kommen über eine kurvenreiche, wenig befahrene Straße im typischen Hügelland der Toskana bald in Sichtweite von Pienza. Wie bei den meisten Ortschaften in dieser Gegend liegen die Häuser von Pienza dicht gedrängt auf einer Anhöhe, malerisch anzusehen mit allen wohlbekannten Attributen wie Zypressen, Olivenhainen und steinernen Türmen. Vom zentralen Parkplatz erreichen wir schnell die Fußgängerzone des Zentrums, ein kurzer Abstecher in die Franziskanerkirche am Weg, mit für Italien typischen Fresken des 13. Jahrhunderts, aber einer interessanten Neugestaltung des Altarraumes, und nach 5 Minuten Fußmarsch stehe ich endlich auf der Piazza Pio II.
Menschenleer und fast kulissenhaft präsentiert sich der wichtigste Platz dieser humanistischen Idealstadt im strahlenden Mittagslicht. Noch kann ich keine Ähnlichkeit mit St. Othmar erkennen, die wunderschön ausgewogene, wie neu wirkende Travertinfassade des Domes lässt keinen Vergleich mit der Westfassade der Othmarkirche zu. Außerdem fehlt das für St. Othmar typische hohe Dach, die Fassade wird nur knapp von einem steinernen Campanile überragt.
Trotz der Mittagszeit ist das rechte der drei Portale des Domes Maria Assunta einladend geöffnet und der erste Eindruck des Innenraumes ist einfach blendend: durch die Ausrichtung nach Süden und die im Februar noch relativ tief stehende Sonne braucht man einige Zeit um sich an das gleißende Gegenlicht im Kircheninneren zu gewöhnen. Bis auf vier rundbogige Fenster im hinteren Teil sind überall gotische Maßwerke in den Spitzbogenfenstern zu finden, die durchwegs farblos verglast sind. Der gesamte Eindruck ist etwas enttäuschend: klein ist dieser Dom, niedriger und kürzer als St. Othmar, insgesamt sehr in die Breite gezogen und leicht abschüssig der Boden.
Automatisch zähle ich die Säulenpaare, die den Mittelgang säumen. Ich komme nur auf 5 Paare, dabei rechne ich schon das vorderste Paar im Umgangschor mit ein, obwohl es nicht frei stehend wie in Mödling ist. Als ich mich umdrehe, sehe ich in der Rückwand noch ein Paar verborgen, also doch sechs wie in St. Othmar.
Der nächste Blick geht nach oben: wie sieht wohl das originale Gewölbe aus der Entstehungszeit aus, das in Mödling bekanntlich nur 6 Jahre vorhanden war, ehe es 1529 ein Raub der Flammen wurde? Die nächste Enttäuschung oder vielmehr Überraschung: viel näher, weil niedriger sind fast die gleichen Gurtbögen und Tonnengewölbe zu sehen, die in Mödling angeblich erst weit nach 1560 bei der Instandsetzung der Türkenschäden errichtet wurden. Hier in Pienza sind sie noch mit der originalen Malerei des 15. Jahrhunderts zu bewundern.
Darunter die etwas eigenartig anmutenden "toskanischen Kapitelle" (allerdings nicht wie üblich schmucklos, sondern mit Kannelierung und Eierstabfries versehen), die einen quaderförmigen Überbau haben, der wirkt, als hätte man die Säulen nachträglich noch etwas höher gemacht. Die Säulen wirken insgesamt viel massiver, was wohl mit ihrem Grundriss zusammenhängt: ein Quadrat mit 4 Halbsäulen (Lisenen), also eigentlich ein gotischer Vierpass. In Mödling ist der Grundriss achteckig und die Lisenen sind wesentlich schlanker ausgeprägt, die Farbigkeit und Oberfläche der Säulen ist aber auffallend ähnlich, wiewohl ohne Schlämme und aufgemalter Quaderung.
Im Mittelgang gehe ich nun zum freistehenden Hochaltar vor, einem relativ schlichten Steinquader auf vier Stufen genau zwischen dem zweiten Säulenpaar. Eine Umrundung bringt eine unauffällige Adaption zutage, - für die Zelebration zum Volk wurden auf der Rückseite des Altares die Stufen durch eine Holzkonstruktion ergänzt. Ein Holzkreuz, zwei Kerzenleuchter und ein Blumengesteck, mehr gibt es nicht am Hochaltar. Der einzige Bilderschmuck im Altarbereich ist ein von zwei Engeln getragenes Piccolomini-Wappen als Fresko am "Triumphbogen" hoch über dem Altar. Dieses Wappen ist allgegenwärtig in dieser Kirche.
Nun befinde ich mich bereits im Chorumgang. In der zentralen Chorkapelle ist ein schön intarsiertes Chorgestühl mit einem mächtigen Lesepult aus der Entstehungszeit der Kirche, auch hier unübersehbar das Wappen des Papstes. Ich wende mich nach Westen und folge dem Chorumgang in Richtung zum rechten Seitenschiff.
In der nächsten Kapelle ein Sakramentshäuschen in einer Wandnische, eingefasst wie eine Renaissancefassade und ein Steinaltar mit Tabernakel vom florentinischen Dombaumeister und Architekten Bernardo Rossellino.
Die nächste Kapelle ist eigentlich das westliche Querschiff, was aber nicht wirklich auffällt. Hier ein wunderschön erhaltener Altar mit einer Pala (Altartafel) des Matteo di Giovanni, die thronende Muttergottes mit Kind und die Heiligen Bartholomäus, Katharina, Lucia und Matthäus zeigend, in der Lünette die Geißelung Jesu.
Gegenüber im östlichen Querschiff ein Steinaltar mit einem Tafelbild des Sano die Pietro mit Madonna und Kind und den Heiligen Magdalena, Anna, Philippus und Jakob, im Tympanon der Leichnam Christi flankiert von zwei Engeln.
Symmetrisch zum Sakramentsaltar im östlichen Chorumgang findet sich ein Altar mit einer Tafel des Lorenzo die Pietro, genannt "Il Vecchietta", darstellend die Himmelfahrt Mariens mit den Assistenzfiguren der Heiligen Agatha, Pius, Kallistus und Katharina von Siena.
Weitere Tafelbilder mit Goldhintergrund und antikisierenden Rahmen von Matteo di Giovanni und Giovanni di Paolo befinden sich an den Wänden der Seitenschiffe. Ich fühle mich wie in einem Museum für italienische Kunst des Quattrocento.
Die gesamte Kirchenausstattung stammt aus der unglaublichen nur dreijährigen Entstehungszeit des Domes 1459 bis 1462 und ergibt ein einzigartiges Originalensemble, das somit heute noch den Eindruck wie bei der Konsekration des Gotteshauses durch Papst Pius II. im Jahre 1462 erweckt. In allen Details ist die Vermischung von mitteleuropäischen Gotik- und italienischen Renaissancemerkmalen spürbar, sowie der ungeheure Wille zur Umsetzung eines Gesamtkonzeptes in möglichst kurzer Zeit.
Im Boden des Mittelgangs im Dom finde ich noch Reste der romanischen Vorgängerkirche, die 1459 vor Baubeginn abgerissen wurde. Auch die Außenbesichtigung zeigt im Unterbau auf dem sehr steil abfallenden Gelände Reste dieses Vorgängerbaus wie bei der Unterkirche in Mödling. Leider war mir eine Besichtigung der romanischen Unterkirche mit Baptisterium nicht möglich.
Von der Lage des Doms von Pienza am Abfall zum Val d`Orcia mit dem atemberaubenden weitläufigen Panorama ergibt sich somit eine weitere Ähnlichkeit zu Mödling und dem Standort der Othmarkirche. Nur der nebenliegende Palazzo Piccolomini mit seinem Garten und den Loggien Richtung Süden sind nicht unmittelbar mit dem Mödlinger Pfarrhaus vergleichbar.
Wir folgen dem Steilabfall des Hügels, auf dem Pienza errichtet wurde, einige hundert Meter weiter und finden inmitten von Olivenhainen die Pieve di Consignano, die alte Pfarrkirche von Consignano, eine einfache romanische Basilka mit einem Zackenfries im Tympanon des Eingangs, das sehr an den Mödlinger Karner erinnert. Der schlichte Innenraum bewahrt noch immer das Taufbecken, in dem Enea Silvio Piccolomini 1405 getauft wurde.
Bei einem Glas bestem Brunello di Montalcino und dem für diese Gegend der Toskana besonders berühmten Pecorino (Schafskäse) lasse ich die Eindrücke dieses Besuchs noch nachwirken, - natürlich in einer Bar, die nach dem berühmtesten Sohn von Pienza benannt ist, - Piccolomini.
Es folgt eine Zusammenfassung der Texte auf Wikipedia, welche genauen Lesern der Othmar-Homepage durch zahlreiche Links sicherlich geläufig sein werden.
Pienza ist eine italienische Stadt mit etwa 2000 Einwohnern in der Toscana, zwischen den Städten Montepulciano und Montalcino in der Provinz Siena gelegen. 1996 erklärte die UNESCO das historische Zentrum Pienzas zum Weltkulturerbe und 2004 wurde auch das angrenzende Umland (Val d´Orcia) in die Liste aufgenommen.
Ursprünglich hieß der Ort Corsignano und war u.a. auch Geburtsort des Enea Silvio Piccolomini, Spross einer verbannten Sieneser Familie und späterer Papst Pius II. (18.10.1405 bis 14.8.1464). Einmal Papst geworden ließ er seinen Geburtsort umbenennen und begann, in der Tradition antiker Stadtgründer, den Ausbau zu einer idealen Stadt. Das Städtchen hieß fortan nach seinem Bauherrn Pienza (Stadt des Pius) und gilt als ein erstes Beispiel einer so genannten humanistischen Stadtplanung, eine Anregung die in anderen italienischen Städten aufgenommen wurde und sich schließlich über ganz Europa verbreitete.
Die Umgestaltung wurde vom Florentiner Architekten Bernardo Rossellino 1459 begonnen, und binnen drei Jahren wurden die Hauptbauten fertiggestellt. Durch den Tod Papst Pius II. im Jahre 1464 wurde die Gesamtplanung jedoch nicht abgeschlossen.
Rossellino entwarf einen neuen Stadtplatz, die Piazza Comunale und die sie flankierenden vier Hauptbauten, den Dom und das Rathaus (Palazzo Pubblico, auch Palazzo Comunale genannt), sowie den beiden Palazzi Vescovile und Piccolomini. Ersterer war der Wohnsitz von Kardinal Rodrigo Borgia, dem späteren Papst Alexander VI.. Palazzo Piccolomini war Wohnsitz der Familie Pius II., ein vom Florentiner Palazzo Rucellai inspiriertes Gebäude und zugleich das größte und schönste am Platz. Am 29. August 1462 weihte Pius II. den neuerrichteten Dom.
Von allen Seiten führen Straßen auf die Piazza Comunale, wobei jeder Standort wechselvolle, harmonische Perspektiven auf die Gebäude, und weite inszenierte Ausblicke in das umliegende Tal gewährt. Der Travertin-Brunnen der Piazza, durch seine Aufstellung vor dem Palazzo Piccolomini die bewusste Asymmetrie des Platzes stärkend, trägt das Familienwappen der Piccolominis und wurde während der folgenden Jahrhunderte Vorbild für viele Toscanische Brunnen.
Der Dom von Pienza wurde von Rossellino zwischen 1459-1462 als dreischiffige Hallenkirche mit Umgangschor errichtet. Trotz der Renaissance-Fassade zeigt der Dom eine typologische Orientierung an Bauten der nordalpinen Gotik, die den zahlreichen Reisen Pius II. vor seinem Pontifikat geschuldet ist. Die Gewölbezone mit toskanischen Kapitellen und den reliefierten Rippen zeigt jedoch die Übersetzung eines gotischen Raumkonzepts in die Formensprache der Frührenaissance. Unter der Apsis befindet sich das Baptisterium, das in Teilen noch auf dem ursprünglichen romanischen Vorgängerbau beruht und einer Krypta gleicht.
Doris Reiser
aktualisiert am 17-Mar-2022
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