13. Mai 2004
Festvortrag von Dr. Gebhard KönigWenn ich heute - in Anlehnung an den Beginn der "Rede über Österreich" von Anton Wildgans - die Ehre habe, als Vertreter des Mödlinger Kultur- und Geisteslebens zu sprechen, so tue ich dies im Bewusstsein, hier stellvertretend für manch anderen unserer Gemeindebürger zu stehen. Auf Grund meines Studiums darf ich mich zwar als Historiker bezeichnen, doch bin ich nicht der Stadthistoriker Mödlings schlechthin, ganz im Gegenteil, es gäbe eine Reihe von Mödlingerinnen und Mödlingern, die weit mehr in der Vergangenheit unserer Stadt geforscht haben und aus dem Stegreif vielleicht mehr über die Geschichte unserer Pfarrkirche Sankt Othmar sagen könnten als ich nach längerer Vorbereitung. Und wenn ich mir den Beginn meiner Ausführungen von Anton Wildgans adaptiert habe, dann nicht in hoffärtiger Vermessenheit, mich sprachlich mit diesem Genius messen zu wollen oder zu können, sondern einzig und allein wegen gewisser Parallelität der Ansprachen. Der große Wahlmödlinger schrieb seine Rede 1929 und wollte sie anlässlich der Wiederkehr des Jahrestages der Republikgründung vor dem schwedischen König und den Repräsentanten der Stockholmer Gesellschaft halten. Leider erkrankte der Dichter, und so wurde sein vaterländisches Bekenntnis am Neujahrstag 1930 "nur" im Österreichischen Rundfunk verlesen. Meine "Rede über Sankt Othmar" anlässlich der 550. Wiederkehr der Grundsteinlegung unserer heutigen Pfarrkirche darf ich vor dem Pfarrer sowie vor den Repräsentanten der Mödlinger Gesellschaft halten, wobei sie, Gott sei dank, nicht einmal von Radio Niederösterreich übertragen wird. Und so wie sich Anton Wildgans nicht mit historischen Ereignissen, deren exakte Datierung mitunter durch verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu Auffassungsunterschieden führt, befasst hat, sondern über die geistig-kulturellen Leistungen der österreichischen Nation gesprochen hat, will auch ich mich auf das wirtschaftliche und soziale Umfeld des spätmittelalterlichen-frühneuzeitlichen Mödlings verlegen. Dennoch ist dazu ein gewisses Zeitgerippe notwendig. Und dass es dabei zu Wiederholungen von Aussagen auf der vorbildlich und informativ gestalteten Homepage unserer Pfarre kommen muss, darf angemerkt sein. Nun, historischer Fixpunkt - und deswegen haben wir uns ja heute zu diesem Festakt versammelt - ist der 13. Mai 1454. Eine Inschrift beim Haupteingang unserer Pfarrkirche, oftmals zitiert und wahrscheinlich Ihnen allen bekannt, besagt: "nach christi gepurd tausendvierhundert und in dem vierundfunftzigsten jare an mantag nach sand pangratzen tag des heiligen martrer ist angelegt worden der erst stain des gegenwüertigen newen gepawes + in nomine christi Jesu et marie virginis." Warum diese Grundsteinlegung zum siebten und letzten Kirchenbau - die Vorgängerbauten wird anschließend ja Regierungsrat Ferdinand Krausgruber bei der Präsentation des seit rund zwanzig Jahren sehnsüchtig erwarteten Grabungsberichtes von Gustav Melzer beleuchten - in eben diesem Jahr und um den Pankratiustag erfolgte, hat mehrere Ursachen. Beginnen wir mit dem vielleicht am leichtesten zu deutenden Umstand, dem Pankrazitag. Über den ersten der drei Eisheiligen erzählt die Legende, dass er als verwaister Sohn eines reichen Römers im Jahre 303 mit seinem Onkel Dionys in die Heimatstadt seines Vaters zurückkehrte und dort mit seinem ererbten Vermögen den verfolgten Christen half, besonders den um ihres Glaubens willen Gefangenen. Nach dem Tod des Onkels wurde Pankratius von einem der Verfolgungsbefehle Kaiser Diokletians erfasst und vor den Kaiser gebracht. Der Vierzehnjährige ließ sich trotz aller Verlockungen nicht vom Glauben abbringen; daher wurde er öffentlich enthauptet und sein Leichnam Hunden zum Fraß vorgeworfen. Eine Christin barg diesen unter Lebensgefahr und setzte ihn in den Katakomben an der Via Aurelia bei. Über seinem Grab errichtete Papst Symmachus im Jahr 500 eine Kirche, an deren Stelle die heutige Kirche S. Pancrazio fuori le mura steht. Kaiser Arnulf von Kärnten schrieb seine Eroberung von Rom am 12. Mai 896 der Fürbitte zu Pankratius zu, worauf die Verehrung des Heiligen vor allem in Mitteleuropa aufblühte und unser Heiliger neben seiner Patronanz über Kinder, insbesondere Erstkommunionkinder in den romanischen Ländern, im deutschsprachigen Raum zum Nothelfer und zum Patron der Ritter und Adeligen wird. Daher wurden ihm auch zahlreiche Burgkapellen geweiht, so auch die auf den Burgen Mödling und Liechtenstein. Der Markt Mödling unterstand seit der Zeit der Babenberger der landesfürstlichen Herrschaft, reichen Besitz an Hausgründen und Weingärten in Mödling besaß aber auch die benachbarte Herrschaft Liechtenstein, die wahrscheinlich vor 1300 aus der weitaus größeren Herrschaft Mödling ausgeschieden wurde. Symbol der Herrschaft Mödling war die alte Burg in der Klausen, Sitz der Liechtensteinischen Herrschaft die gleichnamige Burg. Eine solche Herrschaft war ein Komplex von Gütern und Einkünften, die einem adeligen Burgherren gehörten und ihm die standesgemäße Lebenshaltung ermöglichen sollten. Wichtigster Bestandteil jeder Herrschaft waren Zinsen und Dienstleistungen bäuerlicher Untertanen, deren Gerichtsherr und sozusagen "erste Behördeninstanz" der Herrschaftsinhaber war. Warum nun aber im Jahr 1454? Seit fünf Jahren hatte Mödling einen neuen Pfarrer, der vielleicht auf Grund seiner guten Beziehungen als Bauherr in die Geschichte eingehen wollte, und den vielleicht die in Konkurrenz zu den Perchtoldsdorfern stehenden Mödlinger Bürger bei seinem Bauvorhaben gerne unterstützten. Der damals größere Markt Perchtoldsdorf besaß nämlich schon zwei repräsentative Kirchen: seit 1407 gab es die kleinere Spitalskirche, während man seit 1399 an der großen, dreischiffigen Kirche neben der Burg baute. 1449 war nun auch dieser Kirchenbau großzügigst vollendet worden, so dass es naheliegend erscheint, dass der im gleichen Jahr mit Mödling "belohnte" neue Pfarrer einen Neubau der "oberen" Kirche in Mödling anstrebte. Dies umso mehr, als die vor 1443 begonnene untere Kirche, die Spitalskirche, 1453 fertig geworden war. Wer war nun dieser neue Pfarrer? Nun, der ebenso glänzende wie auch umstrittene Humanist Johannes Hinderbach. 1418 in Rauschenberg bei Kassel in Hessen geboren studierte er ab 1434/35 an der Universität Wien und wurde dort 1436 Bakkalaureus und 1438 Magister der Artes. Das anschließende Rechtsstudium (1439) setzte er 1441 in Padua fort. Danach trat er in die Dienste König Friedrichs III., des Vaters Kaiser Maximilians I., ein, der ihn 1448/49 mit einer Gesandtschaft nach Mailand betraute. Von diesem König wurde er 1449 mit der Pfarre Mödling belohnt. Später gelangte er in den Genuss von Kanonikaten in Passau, Regensburg und Trient, wo er ab 1455 auch Dompropst war. Als Mitarbeiter Friedrichs befreundete er sich mit dem Sekretär des Königs, Enea Silvio Piccolomini, der 1458 bis 1464 als Papst Pius II. in die Kirchengeschichte eingehen sollte. An den Vorbereitungen von Friedrichs III. Romzug (1451/52) zur Kaiserkrönung beteiligt, wurde er am 14. Jänner 1452 in Padua in Anwesenheit des Königs zum doctor in decretis promoviert. Vom Kaiser mehrmals an die Kurie entsandt, leistete er den Päpsten Calixt III. (1455-1458) und Pius II. (1458-1464) den Obedienzeid. Kaiserin Eleonore empfahl ihn 1464 für das Bistum Brixen. Mit ihrer Hilfe erlangte er im August 1465 das Bistum Trient. Nach seiner Belehnung durch den Kaiser 1471 in Venedig vertrat er diesen wieder an der Kurie, eröffnete für ihn den Fürstentag zu Regensburg (1471) und nahm für Friedrich III. am Reichstag von Augsburg (1474) teil. Nach der Rückkehr von einer Gesandtschaft nach Venedig starb er am 21. September 1486 in Trient an einem Blutsturz und wurde im Dom bestattet. Hinderbach war sicher der gelehrteste der Trienter Bischöfe des 15. Jahrhunderts. Es sind von ihm juristische Vorlesungsnachschriften aus Padua erhalten geblieben sowie zahlreiche Gelegenheitsgedichte und viele von ihm hinterlassene und glossierte Handschriften. Eine Geschichte Friedrichs III. für die Jahre 1460-1462 ist nur noch in einem Druck fassbar. Chronologisch geordnete, bislang ungedruckte Aufzeichnungen für die Jahre 1432-1470 sollten wohl die Vorstufe für eine Autobiographie sein. Die Obedienzansprache vor Papst Pius II., gehalten am 29. Oktober 1459 zu Mantua, zeugt von seiner humanistischen Bildung. Ein umfangreicher, noch unpublizierter Briefwechsel und eine Reihe von Übersetzungen vom Deutschen ins Lateinische sowie Aufbereitungen von Erziehungstraktaten des Enea Silvio für den jungen Maximilian spiegeln seine weitreichenden Beziehungen und seine pädagogischen Absichten wider. Sein formal korrektes, aber ungerechtfertigtes Vorgehen gegen die eines Ritualmordes beschuldigten Trienter Juden (1475/76) lässt freilich auch erkennen, dass er von der offenen Judenfeindschaft seiner Zeit geprägt war. Den Besitz der gefolterten und hingerichteten Juden zog er u. a. deshalb ein, um den Seligsprechungsprozess des von ihnen angeblich ermordeten Knaben Simon finanzieren zu können. Papst Sixtus IV. (1471-1484) anerkannte 1478 die formale Richtigkeit des gegen die Juden angestrengten Prozesses. Allerdings genehmigte erst Gregor XII. (1572-1585) im Jahre 1582 den Kult des Knaben Simon, der 1965 endgültig untersagt wurde. Trotz dieses aus der Zeit wohl erklärbaren Fehlverhaltens war Johannes Hinderbach wohl einer der bedeutendsten Pfarrer Mödlings, wobei gewisse Parallelitäten mit dem Mödlinger Pfarrer des ausgehenden 20. Jahrhunderts nicht zu verleugnen sind. Vielleicht sollten wir aber gerade dieses Jubiläumsjahr zum Anlass nehmen, die seinerzeit in eigentlich unwürdiger Weise geführte Diskussion um eine Gedenktafel für Johannes Hinderbach an unserer Kirche im Geiste der Toleranz und des Verständnisses wieder aufzunehmen und zu einem guten Ende zu führen. Im Zusammenhang mit Johannes Hinderbach dürfen auch zwei spekulative Behauptungen nicht unerwähnt bleiben. Zum einen wird seit dem Erscheinen von Richard Kurt Donins Aufsatz über den "Dom von Pienza und die Hallenkirchen in Österreich des 15. Jahrhunderts" im Jahre 1944 immer von der baulichen Verwandtschaft zwischen unserer Othmarkirche und dem genannten Dom gesprochen, ja die Vorbildfunktion von St. Othmar hervorgehoben. Zunächst die Tatschen. Wir haben von der Freundschaft zwischen Hinderbach und Anea Silvio Piccolomini gehört. Letzterer war 1405 in einem toskanischen Ort namens Corsignano geboren worden. Nachdem er 1458 als Pius II. auf den Heiligen Stuhl gelangt war, beauftragte er Bernardo Rossellino, den Hauptmeister der italienischen Frührenaissance, seinen Geburtsort in eine Bischofsresidenz, eine Idealstadt zu verwandeln. Er ließ nicht nur den Dom, den Kommunalpalast und seinen eigenen Familienpalast anlegen, er bedrängte Kardinäle und andere Würdenträger, sich an dem Projekt zu beteiligen und in diesem doch eher abgelegenen Ort Paläste zu errichten. Alle diese Bauten entstanden in relativ kurzer Zeit zwischen 1459, dem Jahr der Auftragserteilung an Rossellino, und 1462, dem Jahr, als der Papst diesen Ort nach seinem Namen in Piusstadt - Pienza - ändern ließ, zur Stadt erhob und die gleichnamige Diözese begründete. Sicherlich ist die Entscheidung für eine Hallenkirche in Pienza eine für das der Basilika verpflichtete Italien eine ungewöhnliche; doch dass gerade Mödling als eine im Bau befindliche Kirche, von der Piccolomini bestenfalls die Pläne gesehen hatte, wirklich als Vorbild diente, ist mehr als fraglich. Jedenfalls hat Piccolomini im Mai 1455 das damalige Österreich für immer verlassen, um zunächst Bischof von Triest und dann von Siena zu werden. Tatsache ist, dass Piccolomini die Ausrichtung des Domes nach Süden vorschrieb, um jene Lichtmystik zu erreichen, die er von den Hallenkirchen nördlich der Alpen kannte. Die Ähnlichkeit mit Mödling wird außerdem durch das Gelände unterstrichen. Durch die Lage am Abhang, der aber weitaus steiler als das Mödlinger Gelände ist, waren in Pienza Substruktionen nötig, die neben einer Unterkirche eine Stützmauer in nahezu der Kirchenhöhe notwendig machten. Offensichtlich führte die rasche Errichtung des Baues zur Senkung des Chores, ein Schicksal, das unserer Othmarkirche erspart blieb. Zum anderen wird immer wieder behauptet, die für einen kleinen Markt wie Mödling viel zu großzügig dimensionierten Kirchenausmaße weisen auf eine Bischofskirche hin. Auch hier die Tatsachen, aus denen Sie sich selbst ihre Meinung bilden können. Bis zum 18. Jahrhundert unterstanden die Gebiete des heutigen Oberösterreich und weite Teile Niederösterreichs der 739 errichteten Diözese Passau. Durch die Bischöfe von Passau erfolgte seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts auch der Aufbau der Pfarrorganisation in Niederösterreich. Noch unter den letzten Babenbergern setzten bald nach dem Jahr 1200 Versuche ein, in Wien ein eigenes Bistum zu errichten. Sie scheiterten aber am Widerstand der Passauer Bischöfe. Eine wesentliche Vorstufe für die kirchliche Trennung Wiens von der Diözese Passau wurde unter Herzog Rudolf IV., dem Stifter, erreicht: diesem gelang es, 1365 an der Stephanskirche in Wien, deren gotischen Ausbau er einleitete, ein exemptes, also nicht der Diözesangewalt des Bischofs von Passau unterstehendes Kollegiatkapitel (Vereinigung von Weltgeistlichen) zu gründen. Aufgrund der Bemühungen Kaiser Friedrich III. (1439-1493) wurde 15 Jahre nach unserer Grundsteinlegung am 18. Jänner 1469 mit der Bulle "In supremae dignitatis specula" das Bistum Wien kanonisch errichtet, wenn auch die Jurisdiktion Passaus über Wien erst 1480 erlosch. Die neue Diözese umfasste bloß die Stadt Wien, ihre Vorstädte und einige Dörfer der nächsten Umgebung mit zusammen drei Stadt- und 17 Landpfarren; Mödling jedoch blieb durch seine Zugehörigkeit zu Melk Passauisch, erst 1475 kam es gemeinsam mit Perchtoldsdorf zur Dotierung des neuen Bischofssitzes zum Bistum Wien. Erster bestellter Bischof von Wien war Leo von Spaur, ein gebürtiger Südtiroler, der sich um Wien gar nicht besonders bemühte, sondern eher gegen den Willen von Domkapitel, Bürger und Stände Nachfolger Nikolaus von Cues als Bischof in Brixen sein wollte und vom Kaiser mit Wien entschädigt wurde. Daneben war er auch seit 1466 als Nachfolger des für die österreichische Geschichtsschreibung so bedeutenden Thomas Ebendorfer Pfarrer in Perchtoldsdorf, ein Amt, das er offensichtlich wegen der hohen Einkünfte auch als Bischof nicht aufgab. Am gleichen Tag wie das Bistum Wien wurde mit der päpstlichen Bulle "Romanus pontifex" auch das Bistum Wiener Neustadt begründet, noch kleiner und unbedeutender als die Wiener Diözese, nur das Weichbild der Stadt umfassend, aber immerhin bis 1722 exempt, also kein unterstelltes Suffraganbistum. Ob also nun ursprünglich Mödling Bischofssitz statt Wien oder Wiener Neustadt werden sollte, überlasse ich gerne Ihrer Entscheidung! Wie konnte es sich aber Mödling, ein Ort mit etwa 250 Häusern, leisten, ein so gewaltiges Gotteshaus, eine 54 Meter lange und 23 Meter breite dreischiffige Hallenkirche mit der beachtlichen Firsthöhe von 37 Meter zu bauen? Nun, Mödling war im 15. Jahrhundert - ganz im Gegenteil zu heute - eine ausgesprochen reiche Gemeinde. 1343 wurde der "markt zu Medlich" erstmals urkundlich bezeugt, dreißig Jahre später 1374 bewilligte Herzog Albrecht III. die Erbauung einer Schranne, also eines Markthauses mit anstoßenden Verkaufsständen; jeder, der hier Waren verkaufen wollte, musste eine Schrannengebühr von einem Wiener Pfennig zugunsten der Pfarrkirche entrichten. Diese 15,5 mal 9,8 Meter große Schranne ist - wie Alfred Weiß in seinen verdienstvollen Forschungen 1974 nachgewiesen hat - im heutigen Rathaus enthalten. Zur Zeit der Errichtung der Schranne war der Schrannenplatz etwa doppelt so groß und reichte bis zum heutigen Gemeindeamt in der Pfarrgasse. Die Schranne war nicht nur Markthaus, sie war auch Sitz des Marktrichters, der die Funktion des erst 1785 eingeführten Bürgermeisters ausübte. Gewählt wurde der Marktrichter vom Rat, der wiederum von der Bürgerschaft gewählt wurde. Rat und Marktrichter besorgten die Verwaltung des Ortes und des Marktes. So gab es wahrscheinlich schon in der alten Schranne im möglicherweise über eine Freitreppe zu erreichenden Obergeschoss den großen Schrannensaal, wo Rat und Richter ähnlich dem heutigen Gemeinderat tagten und wo auch die Gerichtsverhandlungen stattfanden, während im Erdgeschoss eben die Verkaufsräume und vielleicht auch die Gefängnisse lagen. Um 1420 erfolgte die erste Erweiterung gegen Süden, um die Mitte des 15. Jahrhunderts ein weiterer Zubau gegen Osten, der die Brot- und Fleischbänke enthielt. Diese Erweiterungsbauten vor und um die Zeit der Grundsteinlegung für Sankt Othmar können auch als Indiz für den Wohlstand der Gemeinde gelten. Grundlage für den Reichtum Mödlings war zweifellos der Weinbau. 1422 stand Mödling mit Perchtoldsdorf und Gumpoldskirchen unter 17 Städten und Märkten in Niederösterreich mit 400 Gulden an zweiter Stelle bei der Steuerleistung, nur Klosterneuburg und Korneuburg brachten mit je 600 Gulden mehr Einnahmen für das Land. Mödling gehörte neben Perchtoldsdorf, Gumpoldskirchen und Langenlois zu den sogenannten mitleidenden Märkten, die den Städten gleichgestellt und auf den Landtagen vertreten waren. Der Wohlstand Mödlings dokumentiert sich auch darin, dass nach dem Ende der Hussitenkrieg, die zwischen 1424 und 1432 zwar nur das nördliche Niederösterreich heimsuchten, die wirtschaftliche Situation aber sicher im ganzen Land beeinträchtigten, eine rege Bautätigkeit im Ort einsetzte: die Holzhäuser, soweit sie noch bestanden, wurden durch Steinhäuser ersetzt, der westliche Schrannenplatz und der Linsenanger zwischen Haupt- und Klostergasse wurde verbaut und auch die letzte große Ortserweiterung wird wohl um diese Zeit abgeschlossen worden sein: im Süden das "Neusiedl" und die Häuser in Babenberger- und Achsenaugasse, im Osten der Ortsteil "Zwischentören" zwischen Museumsplatz und Thomastraße. Daneben gibt es weiter Indizien für den Mödlinger Wohlstand. 1437 gaben sechs Mödlinger Bürger Herzog Albrecht V. (als König Albrecht II.) ein Darlehen von 36 bzw. 100 Pfund Pfennige (1 Pfund = 240 Pfennig), ein Jahr später pachtete der Markt die Maut und das Gericht der Burg Mödling, und als 1446 der ungarische Reichsverweser Hunyadi - wir befinden uns ja zeitlich mitten in den Streitigkeiten um die Vormundschaft für Ladislaus Postumus - in Niederösterreich einfiel, konnte sich Mödling vor dem Niederbrennen loskaufen, während das benachbarte Gumpoldskirchen dieses Schicksal erlitt. Ein anderer Beweis ist heute in Sankt Othmar noch sichtbar: der riesige Grabstein aus rotem Marmor, der 1444 der verstorbenen Besitzerin der Herrschaft Liechtenstein, Margarete Ludmannstorfer, gesetzt wurde. Letztlich sei für die Bedeutung von Mödling auch noch angeführt, dass 1458 Kaiser Friedrich III. dem Markt jenes Wappen verlieh, das es bis heute führt. Dies war aber der letzte Glanzpunkt in den nun immer schlechter werden Zeiten. 1457 war Ladislaus Postumus verstorben, und der Bruderkrieg zwischen Friedrich III. und Albrecht VI. brachte dauernde Bedrohungen durch Kriegshandlungen und Söldnerhorden. Es würde zu weit führen, das Hin und Her in diesen Zeiten aufzuzählen, wann Söldnerführer oder Kaiserliche den Ort besetzten oder bedrohten. Letztlich brachte auch der Tod Albrechts VI. im Jahre 1463 keine Befriedung: einerseits trieben die Söldnerscharen auch weiterhin ihr grausames Spiel mit der Bevölkerung, anderseits mischten in der Folge im Kampf um das Land auch die Ungarn unter Matthias Corvinus mit, der ab 1482 weite Teile des östlichen Niederösterreich besetzt hielt und Friedrich zur Residenz im allzeit getreuen Wiener Neustadt trieb. So verzögerte sich der Bau von Sankt Othmar, erst 1499 wird die Dachgleiche erreicht, wenn wir die oben in einen Strebepfeiler eingemeißelte Jahreszahl richtig deuten. 1523 war der Bau vollendet, um sechs Jahre später im Zuge der ersten Türkenbelagerung Wiens ein Raub der Flammen zu werden: Dach und Kreuzrippengewölbe stürzten ein und bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts prägte die Ruine auf dem Kirchenberg das Ortsbild von Mödling, wie die bekannten Ansicht von Matthäus Merian bzw. von Johannes Janssonius zeigen. In Anlehnung an Anton Wildgans habe ich begonnen, mit Anton Wildgans will ich auch enden. Seine gereimte Liebeserklärung an Sankt Othmar ist so bekannt, dennoch möchte ich sie in Erinnerung rufen:
An meinem Garten ragt ein Gotteshaus uralt Wenn wir die toten Meister des Baues von Sankt Othmar auch nicht kennen - einiges an Steinmetzzeichen ist wohl erhalten geblieben - so sind wir ihnen doch zu tiefstem Dank verpflichtet. Und dass wir ihrer in Dankbarkeit gedenken wollen, zeigt auch die heutige Festakademie anlässlich der 550. Wiederkehr der Grundsteinlegung. Anton Wildgans preist die Lebendigkeit des Steines. Hoffen wir jedoch und tragen wir vor allem auch soviel wir können dazu bei, dass unsere Gemeinschaft in Pfarre und Stadt und unser soziales Engagement und unser gelebtes Christentum lebendig bleibt und vielleicht dadurch auch einmal ein Dichter angeregt wird. |
aktualisiert am 17-Mar-2022 |